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Musik Was bleibt von der syrischen Musik?

«Wenn die Leute sterben, stirbt auch die Tradition», sagt der syrische Musiker Daisam Jalo. Denn das musikalische Erbe ist nur mündlich überliefert. Jalo ist vor den Schrecken in seiner Heimat nach Deutschland geflüchtet. Jetzt möchte er die traditionelle syrische Musik in Europa vorstellen.

Nachrichten und Bilder über das Grauen in Syrien erschüttern die Welt. Eine ganze Nation ist auf der Flucht. Vor dem Bürgerkrieg, der Brutalität des Assad-Regimes und der Bedrohung durch den selbsternannten «Islamischen Staat». Antike Tempel, Moscheen und Karawansereien liegen in Trümmern.

Auch die Musikkultur, das immaterielle Kulturerbe, ist – viel weniger beachtet – bedroht. Ein grosser Teil der syrischen Musiker flüchtete ins Ausland. Einer von ihnen ist der 33-jährige Daisam Jalo, der in Damaskus Musik studiert hatte. «Jetzt sterben die Menschen in Syrien. Die musikalischen Traditionen sind mündlich überliefert, nicht aufgeschrieben wie in Europa. Wenn die Leute sterben, stirbt auch die Tradition mit ihnen. Ich versuche, ein Archiv über traditionelle syrische Musik aufzubauen.»

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«In Syrien kannst du nicht atmen»

Ein Tonarchiv für traditionelle syrische Musik mit Unterstützung etwa des Deutschen Phonogramm-Archivs aufzubauen, ist für Daisam Jalo eine dringende Angelegenheit. Ich treffe ihn in Berlin mit zwei anderen Musikern aus Syrien, denen die Flucht nach Deutschland gelungen ist. 2009 hatten sie sich zum letzten Mal in der Musikhochschule von Damaskus gesehen. Daisam stellte einen Antrag auf Asyl, denn er wollte auf keinen Fall in Syrien zum Militär eingezogen werden.

«Vom Beginn des Aufstands an habe ich mich entschieden, mich nicht am Militärdienst und am Krieg zu beteiligen. Krieg bringt nur Tod und Zerstörung. Sich am Krieg zu beteiligen, heisst auch das Denksystem zu unterstützen, das den Krieg hervorbringt.» Nabil Hilaneh, ein Virtuose der arabischen Laute Oud, fügt hinzu: «Wir leben in Syrien seit 40 Jahren unter einem diktatorischen Regime. Du kannst dort nicht atmen. Wenn du über Politik sprechen willst, selbst nur mit deinem Vater oder Bruder in einem Raum, heisst es: Bitte, pass auf! Wir hatten Angst.»

«Es hat sich etwas in unserer Seele verändert»

Nabil schaffte es nach einer lebensgefährlichen Flucht von der Küste Ägyptens übers Mittelmeer nach Europa. In Berlin versucht er jetzt einen Neuanfang und sieht sein Exil als Chance – wie viele syrische Musiker.

«Ich kann heute nicht auftreten, ohne die Ereignisse in Syrien mit einzubeziehen. Es hat sich etwas in unserer Seele verändert. Wir müssen jetzt mehr Verantwortung übernehmen und durch Musik anderen Menschen vermitteln, was passiert ist und wer das syrische Volk ist.»

Nicht Grausamkeit, sondern Schönheit zeigen

Genau das spürte ein begeistertes Publikum im Konzert des ersten Syrischen Exilorchesters am 22. September letzten Jahres in Bremen. Auf Initiative des Kontrabassisten Raed Jazbeh gegründet, wurde das «Syrian Expat Philharmonic Orchestra» massgeblich von der jungen deutsch-syrischen Kulturwissenschaftlerin Jasmina Heritani aus Bremen unterstützt. Sie erzählt: «Das Konzert war traumhaft schön. Ich war zuerst sehr angespannt, weil es doch eine wahnsinnige Leistung war, Musiker aus ganz Europa zusammenzutrommeln».

Heritani schwärmt noch heute davon, wie sie sich nach Syrien ins Opernhaus von Damaskus zurückversetzt fühlte. «Einen Moment habe ich die Grausamkeit des Krieges einfach vergessen. Eine Musikerin sagte: Wir möchten ein anderes Bild von Syrien präsentieren, nicht ein Bild von Grausamkeit und Krieg, sondern ein Bild von der Schönheit unserer Kultur.»

Auch im Exil versuchen syrische Musiker also, ihr reiches musikalisches Erbe zu bewahren und weiterzuentwickeln. Ob ihnen das gelingt, wird nicht zuletzt von westlicher Unterstützung abhängen.

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