Der Eingangsapplaus nimmt langsam ab. Die beiden setzen sich ans Klavier und legen ihre Hände auf die Klaviatur. Stille. Sie flüstert ihm etwas ins Ohr. Er flüstert zurück. Und dann ist da dieser flüchtige Moment, den man einfrieren möchte: Sie legt ihre zitternde Hand sachte auf die seinige, als könne sie da ihre Unsicherheit und Nervosität abgeben.
Mit Martha Argerich und Daniel Barenboim sitzen im April 2014 zwei Superstars der Klassik auf der Bühne der Berliner Philharmonie.
Sie spielen Strawinsky, Mozart und Schubert – eine Traumcombo. Ein PR-Coup ist diese musikalische Verbindung aber nicht. Die beiden kennen sich seit 67 Jahren.
Inmitten der Prominenz
«Ich war damals sieben, sie acht Jahre alt und wir haben – wie Kinder es tun – unter dem Klavier gespielt», erzählt Daniel Barenboim in der Berliner Morgenpost. Die beiden Knirpse treffen sich in Buenos Aires jeden Freitag an der Calle Talcahuano 1257.
Das Haus des jüdischen Geschäftsmannes Ernesto Rosenthal ist ein Hotspot für Künstler. Die Eltern spielen hier regelmässig Kammermusik, nicht selten mit der vorbeireisenden Klassik-Prominenz.
Der deutsche Geiger Adolph Busch kommt vorbei oder der rumänische Dirigent Sergiu Celibidache. Ob es in diesem Haus war, als Celibidache Martha Argerich riet: «Mach dich doch nicht so zur Sklavin deiner eigenen Unsicherheit!»?
Zwei Wunderkinder
Die beiden Sprösslinge stehen damals kurz vor dem Debüt und gelten auch in der illustren Runde bei Rosenthal als Wunderkinder – gemeinsam am Klavier sitzen sie da aber nie. Das sollte noch viele Jahre dauern. Zuerst verlieren sich die beiden Kinder aus den Augen.
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Die Familie Barenboim zieht es 1952 nach Israel, die Familie Argerich 1955 nach Wien. Zwar kreuzen sich die Wege der beiden immer wieder, in London der 1960er-Jahre oder bei Meisterklassen in Salzburg.
Doch erst fast vierzig Jahre nach der ersten Begegnung stehen sie zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne.
Die Tastenlöwin, der Strukturierte
Daniel Barenboim hat seinen Fokus mittlerweile aufs Dirigieren gelegt und ist 1987 musikalischer Leiter des Orchestre de Paris.
Er lädt Martha Argerich als Solistin ein und so entsteht die erste gemeinsame Einspielung – Franz Liszt Zweites Klavierkonzert und Manuel de Fallas «Nächte in spanischen Gärten».
Im selben Jahr sitzen sie auch zum ersten Mal gemeinsam am Klavier. Und neidlos gibt Daniel Barenboim heute zu: «Ich bin der erste, der weiss, dass ihr Klavierspiel besser ist als meines.»
Auf jeden Fall unterschiedlich. Martha Argerich ist die Tastenlöwin mit tigerhafter Wendigkeit, Daniel Barenboim der pointierte Strukturierte.
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Diagnose: Krebs
Wenige Jahre nach diesen ersten gemeinsamen Auftritten wird bei Martha Argerich Hautkrebs mit Metastasen in der Lunge diagnostiziert, die Odyssee der Gesundung folgt.
Daniel Barenboim arbeitet derweil weiter an seiner Karriere: 1992 wird er Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper und 1999 gründet er mit dem palästinensischen Literaturtheoretiker Edward Said das West-Eastern Divan Orchestra, in dem junge Musiker aus dem Nahen Osten und Israel gemeinsam musizieren.
Die argentinische Seele bewahrt
Wenn Barenboim Martha Argerich – mittlerweile glücklicherweise recht regelmässig – zu sich auf die Bühne holt, als Partnerin am Klavier oder Solistin bei seinen Orchestern, dann ist die Kinderstube noch immer irgendwie da.
Oder wie Daniel Barenboim sagt: «Aus unserer Kindheit haben wir beide unsere argentinische Seele bewahrt. Argentinier sind irgendwie etwas sentimentale Menschen. Das verbindet uns auch.»