«La Stüa», das ist die altehrwürdige Stube im Ortsmuseum von Giornico. Hier ist Marco Santilli aufgewachsen. Und hier im Ortsmuseum half er jeweils dem Grossvater aus, wenn Sprachkenntnisse gefragt waren, um Fremde herumzuführen. Die Schrifttäfelchen neben den alten Gegenständen im Museum waren sehr knapp gehalten. Da musste Marco als Fremdenführer schon mal etwas ausschmücken.
Instrumentale Geschichten aus dem Tessiner Dorf
Das Fabulieren ist ihm geblieben. Heute sind es instrumentale Geschichten, die er erfindet. Das Heimatdorf von Marco Santilli ist immer noch ein Fundus von Melodie-Einfällen für viele seiner Kompositionen. Aber diese Melodien werden dann durchaus jazzmässig, improvisierend verarbeitet und zugespitzt. Etwa, wenn die Wanderer auf der Strada alta, dem Höhenweg entlang der Leventina, statt Wasser eben Grappa zu sich nehmen und im Aufstieg dann etwas aus den Tritt geraten …
Es passt also bestens ins Konzept, dass das Festival Alpentöne dieses Jahr vermehrt die Brücke über die Berge nach Süden schlägt. Ein Tessiner Stoff für den Festival-Auftritt kommt gerade recht. Und das schweizerisch-italienische Jazz-Quartett von Marco Santilli kann dazu noch mit einer handverlesenen Besetzung aufwarten.
Eine Jazz-Brücke zum klassischen Bläserquintett
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Als Erweiterung seiner Band hat Santilli, der klassisch ausgebildete Klarinettist und Komponist, auf eine bekannte Formation zurückgegriffen: das Bläserquintett. Allerdings besetzt er es mit tieferen Instrumenten: Altflöte, dazu Englischhorn statt Oboe und Kontrabass-Klarinette sorgen mit Horn und Fagott für warme, satte Klangfarben.
Sei es im Duo mit Orgel, Klavier, oder Violoncello, sei es im Quartett: Seine Wurzeln mag Santilli nicht verleugnen, und die liegen nun mal in der Leventina. Da ist die Banda des Nachbardorfs, die der Onkel leitete und in der der junge Marco seine Klarinettenkünste startete. Da ist der heimische Haushalt mit den Liscio(Walzer)-Kassetten, die seine Grosseltern hörten. Und da sind die Glocken der sieben Kirchen des 900-Seelen-Dorfes Giornico.
Von der Handelsschule ins Zürcher Opernhaus
Bevor er den Weg zum Berufsmusiker einschlug, hat Marco Santilli die Handelsschule besucht und sich das Rüstzeug für einen kaufmännischen Beruf geholt. So konnte er sich dann auch das Studium am Konservatorium in Zürich finanzieren. Bis er dann als junger Profi ein Praktikum am Opernhaus antrat.
Die Brücken zur Klassik hat er nie ganz abgebrochen. Aber die Liebe zum Jazz behielt die Oberhand. Schon früh hatte er Benny Goodman bewundert. Und Tony Scott, der sich aus den USA nach Italien abgesetzt hatte.
Spontanes Komponieren – unmittelbar aus dem Moment heraus
Als wichtige Einflüsse nennt Marco Santilli neben dem Franzosen Michel Portal auch den grossen, stillen und nachdenklichen Jimmy Giuffre und einen Klarinettisten, den er im Dave Brubeck Quartet zum ersten Mal hörte: William «Bill» Smith, dessen Erfindungsreichtum und Eleganz ihn faszinierten.
Seine Kompositionen entstehen eigentlich immer spontan, emotional, erzählt Santillli in seinem perfekten Deutsch, das mit südlichem Temperament und Akzent gefärbt ist. Er sucht das Wort dafür: «Immediatezza», Unmittelbarkeit. Das ist es, was er anstrebt, was auch das Publikum an seinen Stücken gefangen nimmt.