Zwei harmlose Töne. Ein g und ein cis. So fängt ein Stück von Galina Ustvolskaja an. Das «Duett» der russischen Komponistin ist (ausschnittsweise) zu hören auf der Website von Patricia Kopatchinskaja. Die in der Schweiz lebende Geigerin hat es zuoberst gepostet, vor Mozart, vor Beethoven oder Strawinsky.
Ein g und ein cis. So harmlos ist das nicht. Die Töne bilden ein so genanntes Tritonus-Intervall, im Mittelalter als «diabolus in musica» bekannt. Und dann kommt es: drei Schnitte. Drei schneidende Sforzati. Schnitte in die Gehörgänge, ins Herz, ins Gehirn. Ein Ausschnitt, dreissig Sekunden kurz, und nichts ist mehr so, wie es vorher war. Eine Geigerin ist hier am Werk, der solcher Schmerz nicht fremd ist. Dabei ist Patricia Kopatchinskaja alles andere als ein Kind von Traurigkeit.
Musik für den Magen
Warum Musik? «Warum zwitschern die Vögel, warum bläst der Wind? Das ist einfach da», sagt die 38-jährige Geigerin. «Musik ist mein Leben. Sie ist Nahrung für mein Herz – und meinen Magen», schiebt sie lachend nach.
Die Musik kam tatsächlich auf die natürlichste Weise zu Patricia Kopatchinskaja. Oder «Patkop», wie sich die in Moldawien aufgewachsene Geigerin bei Freunden nennt. Ihre Eltern bildeten den Kern einer in der damaligen Sowjetunion hochgelobten Volksmusikgruppe. Patkop hat ihre Wurzeln, auch die musikalischen, nie vergessen und spielt noch heute mit Vater und Mutter, etwa die hinreissende «Hora staccato».
Seidige Kleider und Extremformen
Kopatchinskaja gehört seit einigen Jahren zu den gesuchtesten Geigerinnen ihrer Generation. Dabei unterscheidet sie sich jedoch vielfach von «pflegeleichteren» Kolleginnen. Nicht nur, was die unvermeidliche PR betrifft, das Räkeln in seidigen Kleidern auf Covers und Plakaten – sondern auch punkto Repertoire. 2012 spielte sie die Konzerte von Béla Bartók, György Ligeti und Peter Eötvös auf CD ein: Ungarisches im ungewöhnlichen Dreierpack. Musik in Extremformen. Mutig ins Licht blendend, ins Dunkelste sich hineinwagend – und dabei geigerisch überaus anspruchsvoll. Genau das Richtige für Kopatchinskaja.
Patkops Einspielung des Beethoven-Konzerts gleicht einer Gruppentherapiesitzung – im besten Sinne. Das beethovensche «per aspera ad astra» (durch Mühen zum Ziel) verwandeln sie und der Dirigent Philippe Herreweghe in ein hell durchleuchtetes Sprechen, das jeden betrifft. In eine kollektive Erzählung, an der jeder teilhaben kann – besonders auch die Zuhörer
Heimliche Liebe
Beitrag zum Thema
Solistin, Kammermusikerin, Volksmusikerin – «Patkop» ist vieles. Sie ist auch eine, die sich, auf ihre Weise, den Stücken ihres Repertoires annähert. Über das Violinkonzert von Peter Tschaikowski etwa schreibt Patricia Kopatchinskaja, das Thema des langsamen Satzes stamme (möglicherweise) von einem alten französischen Kinderlied «Mes belles amourettes». Ein Lied, in dem von einer geheimen Liebe die Rede ist. Passend. Denn der homosexuelle Komponist schrieb sein Konzert bekanntlich für den von ihm verehrten, jungen Geiger Josip Kotek. Er liess es dann aber von «ungefährlicheren» Widmungsträgern aufführen.
«Diese Geschichten sollten in dem Konzert mitbedenkt werden», schreibt Kopatchinskaja. Es ist diese Art der Reflexion, zusammen mit einem Spieltalent, natürlich wie der Wind, was ihr Spiel so unnachahmlich macht.