Obsession, Inzest, Nekrophilie und Suizid: Darum geht es in der Oper «Salome» von Richard Strauss. Kein Wunder, dass dem österreichischen Oberzensor die Haare zu Berge standen und er – angewidert von so viel Ekelhaftem – eine Aufführung in Wien kurzerhand verbat.
Der Tanz der sieben Schleier
Die Geschichte ist die: Ein König begehrt seine Stieftochter und bittet sie, für ihn zu tanzen. Er verspricht ihr, dafür jeden Wunsch zu erfüllen. Sie, Salome, weiss auch schon genau, was sie von ihm fordern wird: den Kopf des Gefangenen Joachanaan, den sie begehrt, den sie unbedingt küssen will, der sie aber zurückgewiesen hat. Sie ist verletzt, sie will Rache. Deshalb tanzt sie für Herodes den Schleiertanz.
Unausgesprochene Nacktheit
Mit keinem Wort erwähnt der Komponist Richard Strauss – und vor ihm auch nicht der Dichter Oscar Wilde –, dass bei diesem Tanz die Hüllen fallen müssen. Seine ganze Fantasie über Salomes aufreizenden Striptease hat er in die Musik hineinkomponiert.
Die allererste Salome, die stattliche Marie Wittich, weigert sich denn auch, während dieses instrumentalen Stückes auch nur einen Finger zu rühren: Ich bin eine anständige Frau, soll sie gesagt haben. Bei der Uraufführung in Dresden wird sie von einer leicht bekleideten Tänzerin gedoubelt – eine Tradition, die sich viele Jahre hält und die, in Anbetracht der fülligen Sopran-Staturen, auch ihre Berechtigung hat.
Sängerinnen beginnen ihren Körper zu zeigen
Doch über die Jahre ändert sich das Bild der Sängerin – oder andersrum: Ändern die Sängerinnen ihr dickes Image. Eine ganze Reihe von ihnen betritt nun die Bühne rank und schlank, sie singen nicht nur gut, sondern schauen auch gut aus, haben schöne und durchtrainierte Körper und keine Scheu, diese zu zeigen.
Maria Ewing, US-amerikanische Sopranistin, bekannt dafür, exzentrisch und schwierig zu sein, ist aber auch bekannt als kompromisslos schauspielernde Sängerin. Sie ist wohl die Erste, die Salomes Schleiertanz selber tanzt. Richtig tanzt. Sieben Kleider trägt sie zu Beginn, eins ums andere zieht sie aus. Und am Ende steht sie splitterfasernackt da. Und das Licht geht nicht möglichst schnell weg, im Gegenteil. Das Publikum im Royal Opera House hält 1992 den Atem an.
Neue Umsetzungen für den Schleiertanz
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Das lässt sich heute nicht einfach mehr wiederholen – zumal ja Nacktheit auf der Bühne auch kein Schocker mehr ist. Nach welchen Lösungen suchen also Regisseure heute? Martin Kusej zum Beispiel lässt seine Salome mit Puppen spielen, die sie am Ende alle zerstört hat. Peter Konwitschny setzt den Tanz Salomes mit ihrem Befreiungsakt gleich. Sie steigt auf einen Tisch und schüttelt wild und hemmungslos ihre Sehnsucht nach Freiheit aus dem Körper.
Katharina Thalbach, deren Salome in einem Designer-Kochstudio spielt, setzt – typisch die bodenständige Thalbach – Esswaren als Sinnbild für Erotik und Verführung ein. Ihre Salome vollführt ein wahres Happening mit exotischen Früchten. Und Teig! Schön die Idee jenes Regisseurs, bei dem es in jenem Moment gar keine Salome auf der Bühne gibt. Alles was passiert, sieht man an den lüsternen Reaktionen Herodes.
Nina Stemme als Salome
Als Nina Stemmes ihre Salome in Barcelona vor fünf Jahren sang, war die schwedische Sopranistin bereits weit über 40, und ihr Körper fernab eines 16-jährigen Teenagers. Regisseur Guy Joosten benutzt den Schleiertanz für eine filmische Rückblende in Salomes Kindheit, die mit einer machthungrigen Mutter und diesem unberechenbaren Stiefvater so schön nicht gewesen sein kann.
Das Salome-Kind auf der Leinwand wird übrigens von Nina Stemmes Tochter gespielt. Überhaupt, sagt die Sängerin, «kann ich an meinen Teenager-Töchtern sehen, was mit 16-jährigen Mädchen auf dem Weg zur Frau passiert. Sie sind so unschuldig – und haben keine Ahnung, welche Signale sie abgeben.»
In London an den BBC Proms, wo Nina Stemme die Salome Ende August gesungen hat, hat sie das Problem mit dem Schleiertanz nicht: Es ist eine konzertante Version.