Wie im Märchen beschreibt Anne-Sophie Mutter den Moment, als sie zum ersten Mal eine Geige in der Hand hält. Damals ist sie fünfJahre alt – und da sei etwas mit ihr passiert: «Das war einfach total zauberhaft.»
Ein Wunderkind?
Mit sechs Jahren gewinnt sie ihren ersten Musikwettbewerb. Mit 13 Jahren debütiert sie bei den Salzburger Pfingstfestkonzerten unter der Leitung von Herbert von Karajan.
Nach ihrem Debüt 1977 hiess es, sie sei ein Phänomen, eine Jahrhundert-Begabung, ein Wunderkind. Heute lacht Anne-Sophie Mutter über diese Aussagen: «Das Wunder ist gegangen, das Kind geblieben. Das Wunder war wahrscheinlich nie da, nur das Kind war da.» Trotzdem wurde ein Weltstar aus ihr.
Disziplin und Leidenschaft
«Ein so junges Wesen muss Zeit haben, gross zu werden», sagt Anne-Sophie Mutter. Dazu gehöre viel mehr, als nur gut spielen zu können: «Neugierde, Selbstkritik, Leidenschaft, eine gute Portion Disziplin. Freude einfach am Tun. Und Bodenständigkeit.» Das sind für Anne-Sophie Mutter die Zutaten für das Rezept zum Erfolg.
Für ihren Erfolg musste sie auf vieles verzichten. Sie wurde von der Schulpflicht entbunden und führte nicht das «normale» Leben eines «normalen» Kindes. Aber das sei ihr nicht schwergefallen.
Wenn man seine Leidenschaft leben dürfe, sei das einfach eine tolle Sache, so die Geigerin. Leidenschaft ist ein Wort, dass der Weltstar oft braucht. «Entweder man ist ein leidenschaftlicher Mensch oder man ist eine lahme Socke. Dazwischen gibt es nicht viel.»
Engagement für andere
Als Musikerin geht es für Anne-Sophie Mutter um mehr, als um Rampenlicht und Erfolg. Die Geigerin engagiert sich für Waisenhäuser in Rumänien, für die SOS-Kinderdörfer in Aleppo, bei «Artists against Aids».
Sie sagt: «Damit gebe ich meinem Leben einen Sinn. Wir müssen uns alle engagieren, aber Musiker haben vielleicht eine noch grössere Verpflichtung. Weil sie den Scheinwerfer mal für einen Moment auf etwas Sinnvolles richten und auf die Tragödien auf diesem schönen, blauen Planeten hinweisen können.»
Geld ist die falsche Motivation
Auch gegenüber der musikalischen Jugend sieht sich Anne-Sophie Mutter verpflichtet. 1997 hat sie darum eine Stiftung zur Förderung hochbegabter Jungmusiker gegründet und tritt auch mit ihnen auf.
Sie bringt ihren Schützlingen nicht nur Technik bei: «Manchmal benötigen sie einfach Aufmunterung, auch Denkanstösse oder mal Kritik», sagt Mutter.
Sie spreche mit den Stipendiaten über deren Motivation, Musikerin oder Musiker zu werden: «Wenn die Motivation nicht ist, die Welt ein Stückchen besser zu machen, Menschen zusammenzubringen und sich als Diener am Werk zu sehen, dann ist man da einfach falsch. Nur für «fortune and fame» – das kann nicht der Ansatz eines Musikers sein.»
Zeitgenössische Musik ist die Zukunft
Mit 54 Jahren blickt Anne-Sophie Mutter auf eine lange und sehr erfolgreiche Karriere zurück. Sie hat sich nie auf ihren frühen Erfolgen als «Wunderkind» ausgeruht.
Musikalisch blickt sie in die Zukunft, versteht sich als Botschafterin der zeitgenössischen Musik. Die ist mittlerweile fester Bestandteil ihrer Konzerte und trotzdem sind die Säle voll.
«Seit den 1980er-Jahren gehen die Zuschauer einfach lockerer mit zeitgenössischer Musik um.» Diese sei kein rotes Tuch mehr.
Anne-Sophie Mutter hat dazu beigetragen. Viele zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten haben Werke für sie geschrieben, darunter Sofia Gubaidulina, Krzysztof Penderecki oder Wolfgang Rihm.
Fragt man Anne-Sophie Mutter, wofür sie im Leben dankbar sei, welche Ereignisse sie geprägt haben, dann nennt sie nicht die prächtigen Konzertsäle, Preise und Erfolge, sondern ihre Freunde und Lehrer. Allen voran die Geigerin Aida Stucki, Paul Sacher und immer wieder Herbert von Karajan: «Die Konzerte mit Karajan: Das war wie fliegen, einfach Wahnsinn!»
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 14.9.2017, 9 Uhr.