Er entwickelte ein Musiktheater ausserhalb der traditionellen Oper, kammermusikalisch, gesellschaftskritisch, politisch und doch witzig. Damit hat Hans Wüthrich die Schweizer Musikszene, aber auch die internationalen Bühnen geprägt, über Generationen hinweg. Er war Mitglied der Akademie der Künste Berlin und 2016 nominiert für den Schweizer Musikpreis.
Trotzdem blieb Hans Wüthrich bis zuletzt ein Geheimtipp. Ein internationaler Geheimtipp, könnte man sagen. Denn mit seiner künstlerischen Arbeit hat er weit über die Schweiz hinaus Impulse gegeben, die bis heute nachwirken.
Aber Hans Wüthrich war keiner, der laut auftrumpfte. Er war ein stiller Querdenker. Einer, der dem kompositorischen Common Sense Eigensinniges entgegenstellte.
Humorvoll bis abgründig
So zeigte er 1974 – also in einer Zeit, als die «ernste» Musik noch so richtig ernst war – mit seinem Stück «Das Glashaus», wie virtuos, witzig und unterhaltsam zeitgenössische Musik sein kann: Ein Stück über die Machtkämpfe des täglichen Wahnsinns.
Hans Wüthrichs Kompositionen haben aber häufig auch eine abgründige, sogar höchst riskante Seite: 1978 kreierte er ein Musiktheater gemeinsam mit «Brigitte F.»
Brigitte F. war eine heroinsüchtige Frau. Wüthrich begleitete sie bei ihrem Entzug und ihren Rückfällen. Für ihre Ängste und Hoffnungen entwickelte er mit ihr zusammen eine eigene musikalische Sprache: damals eine völlig neue Form des dokumentarischen Musiktheaters.
Auch in der Theorie bewandt
Hans Wüthrich, geboren 1937, wuchs in einer Bauernfamilie auf in Aeschi bei Spiez. Er studierte Musik und Komposition, aber auch Sprachwissenschaft und Philosophie.
Viele Jahre war er Lehrbeauftragter für Linguistik an den Universitäten Zürich und Basel. Später war er als Dozent für Musiktheorie an der Musikhochschule in Zürich und Winterthur tätig.
Musik am Puls der Zeit
Seine Sensibilität für Sprache und Musik, für Politik und die Phänomene unserer Zeit spiegelt sich in all seinen Werken. Auch in «Happy Hour» und «Leve» aus den 1990er-Jahren: Hellsichtige, aber auch sarkastische Abrechnungen mit der Unterhaltungs- und Konsumindustrie.
Bis ins hohe Alter ist Wüthrich als Komponist nie stehen geblieben. Zuletzt arbeitete er sich in die interaktive Live-Elektronik ein und schuf Werke, die eine Art «Seelenlandschaft» des modernen Menschen aufzeigen.
Hans Wüthrich suchte nicht das Rampenlicht. Die Geheimnisse seiner Kunst muss man entdecken. Komponisten wie er sind stille, aber aufmerksame Beobachter – sie sind Seismografen der Gesellschaft. Deshalb sind die Werke von Hans Wüthrich so einmalige und nachhaltige Dokumente unserer Zeit.