Kossi hält eine leeres A4-Blatt in die Kamera, in der Mitte gefaltet. «Es gibt Bücher, die sind so geschrieben», sagt sie. Dann zerknüllt sie das Papier: «Und solche: Bei denen ist die Sprache nicht so flach.»
Um den Thriller, den sie gerade gelesen hat, zu veranschaulichen, drückt sie das Blatt zu einer kompakten Papierkugel zusammen. So «dicht und atmosphärisch» sei er geschrieben, erzählt Kossi, dass kein weiteres Wort zwischen die Buchdeckel passe.
Kossi, alias Andrea Koßmann, lebt im Ruhrgebiet, ist Kauffrau – und Booktuberin: Vor ihrem Bücherregal dreht sie in ihrer Freizeit Youtube-Videos, in denen sie über Romane plaudert, von denen sie begeistert ist. Ihren Bücher-Kanal «Kossi’s Welt» haben auf Youtube fast 14 000 Personen abonniert.
Booktube erobert die deutsche Online-Welt
In den USA und Grossbritannien ist Booktube seit Längerem ein Begriff. Unterdessen gibt es auch mehrere Dutzend deutsche Booktube-Kanäle – und ständig kommen neue dazu. Sie gehören meist Frauen anfangs Zwanzig mit Vorliebe für Fantasy- und Jugendromane.
Eine der Ausnahmen: Der 23-jährige Brivido Libro. Von seiner leicht überdrehten Booktube-Attitüde ist Andreas Dutter, Student aus Wien, im richtigen Leben wenig anzumerken.
«In den nächsten 10 Jahren wird Booktube sich ähnlich entwickeln wie die E-Books», prognostiziert er. Denn so wie die digitale Ausgabe unterdessen für viele Autoren wichtiger sei als die gebundene, so könnte Booktube in Zukunft wichtiger werden als die Besprechung im Feuilleton.
Spass an der Sache statt Systematik
Sind Booktuber also als «Literaturkritiker 2.0.» im Begriff, die herkömmlichen Rezensenten abzulösen? Andreas Dutter winkt ab: «Es geht bei Booktube weniger um das Kritisieren oder Analysieren der Bücher. Sondern darum zu zeigen, dass jeder Spass am Lesen haben kann.»
Tatsächlich scheinen die Booktube-Videos deshalb so beliebt, weil sie unprofessionell und persönlich sind: Statt systematisch und in ausgefeiltem Wortschatz zu analysieren, erzählen Booktuber spontan, salopp und subjektiv über das Gelesene.
Einige Sätze zum Inhalt, dann wird verraten, ob es sich lohnt, weiter zu lesen. Derweilen wackelt manchmal die Kamera, das Bücherregal im Hintergrund ist nicht richtig ausgeleuchtet, auf dem Tisch liegt ein Handy, das zwischendurch klingelt.
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Lesen soll nicht spiessig wirken
Die Selbstinszenierung der Booktuber ist dabei wichtiger als das Gelesene. Was im eigenen Bücherregal steht, wird zur Visitenkarte ihres digitalen Ichs. Andreas Dutter und Andrea Koßmann sind zudem selbst Autoren und werben auf ihrem Kanal für ihre Bücher.
Unter ihren Videos kommentieren und vernetzen sich vor allem jüngere Lese-Fans. Das klassische Feuilleton bietet für die Jugend- und Fantasyromane, die sie gerne lesen, keine Plattform.
Doch Booktube ermöglicht nicht nur den Austausch über ein gemeinsames Hobby. In der Schule gelte Lesen, gerade unter Jungs, als uncool, sagt Andreas Dutter: «Ich versuche mit meinen Videos zu zeigen, dass Lesen nicht spiessig ist und man sich nicht dafür schämen muss».
Schliesslich sei es im Netz ein Leichtes, Klischees über den Haufen zu werfen: «Da gibt es zum Beispiel dieses Mädchen, das sich gerne die Nägel macht und ins Solarium geht – und plötzlich zeigt, dass sie sich gerade 20 Bücher gekauft hat.»