Die neueste Obsession des medienhungrigen Amerikas heisst «Serial». Es ist die Geschichte des Mordes an Hae Lee, einer jungen, hübschen, lebensfrohen Frau, die erwürgt und in einem Park vergraben wird.
Hunderttausende laden den Podcast der Audio-Serie jede Woche herunter. Das Besondere: Der Mord ist eine wahre Begebenheit. Hae Lee starb an einem Wintertag vor 15 Jahren in Baltimore. Der Mörder - ihr Ex-Freund. Der Fall ist aufgeklärt, das Urteil gefällt, der Täter sitzt im Gefängnis.
Echtes Interesse der Macher
Doch war es wirklich der Ex-Freund? Sarah Koenig, Journalistin und Mitproduzentin von «Serial», zweifelt daran. «Im letzten Jahr habe ich jeden Arbeitstag damit verbracht, herauszufinden, wo ein High-School-Kid an einem Tag im Jahr 1999 für eine Stunde lang nach der Schule war», sagt Koenig in der ersten Folge von «Serial».
In den weiteren Episoden jagt eine Frage die andere: Hat der Kronzeuge gelogen? Wieso geht seine Geschichte nicht auf? Hat die Anwältin versagt? Haben die Polizisten alle Spuren verfolgt?
Neuartige Erzählweise
«Serial» ist ein aufsehenerregendes Stück Journalismus und spannend wie ein Krimi. «Der Podcast, auf den wir gewartet haben», schrieb der New Yorker.
Diese neue und fesselnde Erzählweise machen die Serie zu einem der grössten Podcast-Erfolge der Geschichte. Jede Woche beleuchten die Macherinnen von Serial neue Aspekte des Mordes, reden mit den Zeugen von damals, nehmen die Gerichtsakten und Polizeiprotokolle unter die Lupe, erzählen von ihren schwankenden Gefühlen, wer wirklich verantwortlich ist für den Mord an Hae Lee.
Jede neue Folge wird in den Medien besprochen und rezensiert. Auf der Online-Plattform Reddit rätseln mittlerweile Tausende mit. Sie graben alte Dokumente aus und versuchen Klarheit zu gewinnen, ob der wahre Täter hinter Gittern sitzt.
«Für mich ist es das echte Leben»
Die Serie ist nach dem Vorbild renommierter TV-Serien konzipiert und aufgenommen worden. Kritiker vergleichen sie mit hochgelobten Serien «House of Cards» oder «Twin Peaks».
Doch dann gibt es auch eine andere Sicht auf den Hype um «Serial». Der Bruder der ermordeten Hae Lee meldete sich zu Wort: «Für euch ist es einfach ein weiterer Krimi, eine weitere Folge von CSI», schrieb er in einem Online-Forum auf Reddit. «Für mich ist es das wahre Leben.»
«Schande über euch», klagte er, «ich bete, dass ihr nicht durchmachen müsst, was wir durchmachen mussten, und eure Geschichte dann fünf Millionen Hörer erzählt wird.» Es lässt sich nicht mit Gewissheit belegen, ob der Autor der Online-Kommentare wirklich der Bruder der Ermordeten ist. Doch ob echt oder nicht: Sein Kommentar rückt ein ungutes Gefühl in den Fokus: Dürfen wir so viel Spass am privaten Drama echter Menschen haben?
Das ungute Gefühl schwingt mit
Dem Hype folgte eine Kontroverse. Eine Guardian-Autorin fühlt sich an die Online-Hetzjagd nach den Attentätern des Boston-Marathons vor eineinhalb Jahren erinnert, in der Unschuldige beschuldigt und an die Öffentlichkeit gezerrt wurden. Wieder andere fragen sich, ob der Podcast ethische Grenzen überschreitet.
Für Fans der Serie sind das keine neuen Gedanken. «Für uns war das Teil der Diskussion, praktisch ab Tag 1», sagt Reddit-Moderator Jacob White. Dennoch werde er sich die nächste Folge wieder anhören. Und Hunderttausende werden es ihm gleichtun. Doch wenn sie «Play» drücken, wird nicht nur die neueste Folge starten, sondern – unhörbar – auch dieses leicht ungute Gefühl mitschwingen, ob das tragische Schicksal einer jungen Frau so ins Scheinwerferlicht gerückt gehört.