Eigentlich müssten wir nie wieder einen Fuss vor die Haustüre setzen. Die Supermarkt-Kette liefert alles nach Hause. Einkleiden kann man sich mit einem Klick. Mit Technologien wie der virtuellen Realität können wir verreisen und dabei auf dem Sofa sitzenbleiben.
Es gibt keinen Ort auf diesem Planeten, der noch nicht von Google Maps vermessen wurde, kaum einen Reisetipp, der noch nicht im Internet bewertet und diskutiert wurde. Im Zeitalter der Digitalisierung gibt es nichts mehr zu entdecken. Nimmt uns das den Spass am Reisen?
Reiselust ungebremst
Experten sind sich einig: im Gegenteil. Weil Reisen immer günstiger wird, leisten wir uns diesen Luxus immer öfter. Ein weiterer Trend zeichnet sich ab: Reisen werden spontaner, kürzer und individueller.
Immer öfter organisieren wir unsere Reisen übers Internet, kommunizieren mit dem Hotel per E-Mail. Dieser Trend hält an; alle Studien kommen zum Schluss, dass Online-Buchungen weiter zunehmen.
Dank digitaler Technologie sind wir immer besser informiert. Über soziale Netzwerke wie Facebook oder Instagram erfahren wir von idyllischen Orten oder verrückten Abenteuern und lassen uns davon inspirieren.
AirBnB vermittelt Adressen von Privaten, bei denen wir übernachten können. So wachen wir in der Fremde bei einer Familie auf statt in einem langweiligen Hotelzimmer.
Neue Player auf dem Vormarsch
Dabei ist Wohnungen teilen keine neue Idee. Die Interhome AG wurde in den 60er Jahren gegründet und vermittelt seit Jahrzehnten Ferienwohnungen an Reisende.
Doch erst die Digitalisierung habe die Transparenz geschaffen, die dem Prinzip der Sharing Economy zum Erfolg verholfen habe, meint Philipp Ries, Industry Travel Leader bei Google Schweiz.
Transparenz heisst hier: Jeder veröffentlicht sein Angebot. Konsumenten bewerten dies und berichten von ihren Erfahrungen. Bevor wir abreisen, haben wir ein Bild im Kopf von dem, was uns am Ziel erwarten wird. Nicht nur bei AirBnB trifft dies zu, auch bei Webseiten, auf denen Reisetipps zu Sehenswürdigkeiten ausgetauscht werden.
Die Transparenz ist ganz klar die grösste Errungenschaft des Internets
Und was machen die alten Player?
Diese Transparenz wird zur Herausforderung für die Reisebüros, denn der Informationsvorsprung des Beraters schwindet.
Diese Entwicklung habe auch positive Seiten, sagt Prisca Huguenin-dit-Lenoir, Mediensprecherin der Hotelplan Group. Wenn sich ein Kunde informiert und bereits eine Vorauswahl getroffen habe, dann erleichtere das die Arbeit des Reiseberaters. Dessen Kompetenz sei nach wie vor gefragt.
Einfachere Reisen werden zwar zunehmend im Internet gebucht. Für komplexere Reisen nehmen Kunden die Hilfe des Reisebüros in Anspruch. Für Rundreisen etwa, bei denen eine Kundin noch ein Mietauto und einen Inlandflug buchen will.
Mit steigenden Ansprüchen kann das Reisebüro seine Stärken ausspielen. Erfahrene Expertinnen geben Tipps zu Yoga-Kursen in Indien, weil sie diese selber schon absolviert haben. Sie organisieren auch ganze Reisen, denn nicht jeder verbringt gerne Stunden im Internet mit der Suche nach dem besten Angebot.
Abschalten ohne abzuschalten
Wer sich hingegen gerne durchs Internet wühlt, kann das ─ Smartphone sei Dank ─ mittlerweile rund um die Uhr. Ob man sich vor oder während der Reise online informiert ist typabhängig, erzählt Annika Aebli wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Tourismus und Freizeit an der HTW in Chur.
Gerade ältere Generationen informieren sich gerne vor der Reise und wollen sich am Ferienort um nichts mehr kümmern. Es gibt aber auch immer mehr Menschen, die lediglich wenige Eckpunkte vorab planen, um dann vor Ort flexibel weiterzuschauen.
Auch dort bietet die Digitalisierung viele Möglichkeiten für Individualisten. Portale wie Tripadvisor oder Foursquare geben Tipps zu Sehenswürdigkeiten und Restaurants in unmittelbarer Nähe. Mit AirBnB findet sich im Handumdrehen die nächste Unterkunft und mit Google Maps ist auch der Weg dorthin kein Problem mehr.
Die Digitalisierung soll im Idealfall vereinfachen und könne unter Umständen sogar zu reichhaltigeren Erlebnissen führen. In Zukunft denkt Annika Aebli beispielsweise auch an Erlebnisse, die wir mit Augmented Reality erleben werden. Über eine AR-Brille wird Information eingeblendet zu einem Denkmal, vor dem wir gerade stehen, oder einer Kirche.
Mit einer ähnlichen Technologie, der VR-Technologie, könnte man auch zu Hause vor dem Computer in eine fremde Welt abtauchen. Philipp Ries von Google kann sich jedoch nicht vorstellen, dass die virtuelle Realität Reisen ganz ersetzen wird. Zu wichtig sind die persönlichen Eindrücke, die man auf Reisen erlebt.
Wir wussten schon vor der Digitalisierung, wie der Eiffelturm aussieht – und trotzdem wollen seit Jahrzehnten Millionen von Touristen das Bauwerk in seiner vollen Grösse sehen, in der Nähe einen Kaffee trinken und ein richtiges Croissant essen.
Einfach mal weg
Wir sollten die Digitalisierung nicht überschätzen, warnt Annika Aebli. Letztlich sei das Smartphone ein Werkzeug, das Althergebrachtes ablöst: Die Karte oder den gedruckten Reiseführer, den Brief und die Postkarte.
Ob wir uns durch Informationen auf dem Smartphone scrollen oder im Reiseführer blättern, macht keinen grossen Unterschied. In vielen Fällen sind die Erklärungen identisch und die Wahl des Mediums persönliche Präferenz.
Dabei gilt, wie wir zu Hause sind, so sind wir auch in den Ferien. Denn auch wenn das Hauptmotiv zum Ferien machen immer noch «weg gehen» vom Alltag ist, so legen wir die alltäglichen Gewohnheiten in der Ferne nur ungern ab.