Die mit Sticker beklebten Laptops sind aufgeklappt, die Blicke auf den Bildschirm gerichtet, die Gastgeberinnen erwartungsvoll: Im hellen Ausstellungsraum im Kunsthaus Langenthal laden drei junge Frauen zu einem sogenannten Edit-a-thon ein.
Einer Schreibwerkstatt, an der Wikipedia-Texte verfasst und vermittelt wird, was beim Schreiben von Wiki-Inhalten beachtet werden muss. Das Parkett knarzt immer wieder, wenn sich ein neuer Teilnehmer zur kleinen Gruppe gesellt.
Viele brauchen sie, wenige schreiben mit
«Man muss sich einen Platz am Tisch erkämpfen, um mitdiskutieren zu können. Sonst wird man nicht gehört, und es wird über einen bestimmt», sagt Muriel Staub. «Das gilt auch bei Wikipedia.»
Staub ist Vorstandsmitglied der Wikimedia Schweiz, dem Dachverband von Wikipedia. Ihre Worte treffen ins Herz der Wikipedia-Problematik, die an diesem Workshop im Zentrum steht.
Die Online-Enzyklopädie ist die am fünfthäufigsten besuchte Internetseite der Welt, doch sie wird vor allem von einem kleinen Teil weisser Männer mittleren Alters gestaltet.
«Es gibt einen Mangel an diversen Meinungen auf Wikipedia», sagt Daniela Brugger, Künstlerin und Initiantin der Schreibwerkstatt. «Bei vielen Wiki-Einträgen fehlt die weibliche Perspektive auf Themen.»
Schreiben gegen den Gender-Gap
Das unausgeglichene Geschlechterverhältnis schlägt sich auch in den Biografie-Einträgen nieder. Von den rund 660’000 Biografien auf der deutschen Wikipedia sind gerade mal 15 Prozent über Frauen.
Dieser Geschlechterkluft tritt die junge Frauengruppe mit Schreib-Workshops entgegen. «Wir wollen einerseits mehr Frauen dazu bewegen, bei Wikipedia mitzuschreiben», sagt Staub.
«Andererseits sollen auch mehr Inhalte entstehen, die Frauen repräsentieren. In gewissen Artikeln wird die Rolle der Frau vernachlässigt.»
Tippen statt kämpfen
Gruppen wie «Art+Feminism» und «WomenEdit» versuchen schon seit Jahren, Autorinnen zu fördern. In der Schweiz kämpft unter anderem Daniela Brugger mit einigen Künstler-Kolleginnen um mehr Diversität in den Wiki-Texten. Doch die jungen Frauen ballen nicht die Fäuste, sie krempeln die Ärmel hoch – und schreiben.
Denn das Online-Nachschlagewerk Wikipedia ist auch Teil der Geschichtsschreibung. «Die, die schreiben, bestimmen unsere Geschichtsbücher», sagt Brugger. «Und wir haben hier eine Möglichkeit mitzubestimmen. Wieso sollen wir die nicht wahrnehmen?»
Für Frauen, für Männer
Schon der Titel des Workshops «Who writes his_tory» – mit dem Abstand zwischen dem Wort Geschichte – macht auf die Lücke aufmerksam, die es zu schliessen gilt; Who writes her story?
An diesem Samstag werden zwar weder Geschichte noch Wiki-Texte geschrieben, doch es wird erklärt und sensibilisiert. Damit sich Einsteiger nicht zu schnell entmutigen lassen, wenn eigene Einträge und Korrekturen revidiert oder gelöscht werden, etwa wenn es heisst, die Relevanzkriterien der Wikipedia seien nicht erfüllt. Diese sind ohnehin dehnbar – und eröffnen nicht selten Debatten auf der Diskussionsseite des jeweiligen Wiki-Eintrags.
Verfassen und verteidigen
Denn ist der eigene Artikel erst einmal verfasst, gilt es, ihn längerfristig mit Argumenten, Fakten und Quellen zu verteidigen. Das gelingt in einem Netzwerk besser als alleine.
Daniela Brugger und Muriel Staub schreiben und editieren regelmässig. Das reicht ihnen aber nicht. Sie wollen mit diesem Edit-a-thon auch andere dazu animieren. «Auch Männer sind herzlich willkommen», sagt Brugger. «Das muss man zusammen denken.»
Das Ziel? Vielstimmigkeit
Aber wie motiviert man die Leute langfristig? Schliesslich lebt das Lexikon von freiwilliger Mitarbeit. «Es ist wichtig, sich als Gemeinschaft zu motivieren», sagt Brugger.
«Darum sind diese Anlässe wichtig. Man sitzt nicht alleine Zuhause vor dem PC, sondern arbeitet gemeinsam an einer Sache. Ausserdem werden Kontakte geknüpft, auch das sorgt für Nachhaltigkeit.»
Zusammen soll also diese ambitionierte, gemeinnützige und zuweilen schwierige Aufgabe angegangen werden. Aber die jungen Frauen lassen sich nicht entmutigen – und beenden diesen Workshop, wie sie ihn begonnen haben: Sie sitzen vor den Laptops und hauen in die Tasten – damit Wikipedia ein bisschen weiblicher und vielstimmiger wird.
Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 19.10.2017, 17.22 Uhr