Das ist ein Brief an Rea, an Dejan, an Beat, Amadeja – an die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die Kollegas in der Heilsarmee, die Gassenarbeiterin, an euch – an die, die Gesellschaft die soziale Verpflichtung ausgelagert hat, um für jene da zu sein, die keine Fürsprecher haben.
Jene, die unser perfektes System nicht verwerten kann.
Die es nicht durch ihre Arbeit nach oben geschafft haben.
Die weder geerbt haben, noch in Ruhe lernen konnten.
Die Saisonarbeiter waren oder alte Schweizerinnen gepflegt hatten, die Schweizer Männer ungern befriedigten, weil sie ihre Familie irgendwo durchbringen mussten, in einem Land, in dem die Schweiz eventuell nach Rohstoffen gräbt.
Ein Brief an euch, die ihr jenen ihre Rechte erklärt, an denen der Kapitalismus vorbeigefahren ist: die Leute am sogenannten Rand, an dem sie sichtbar herumsitzen als Mahnung an den guten, den starken, den gesunden Schweizer, sich an die Regeln zu halten, an den Wettbewerb zu glauben, die Eigenverantwortung, und daran, dass es ihr Verdienst ist, in diesem Land geboren, nie schwer krank geworden zu sein, keinen Krieg erlebt zu haben, nicht entlassen, nicht müde geworden zu sein, weil das Leben eine solche Demütigung war.
Wir, die mit Glück, wollen die Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht wirklich sehen, die es nicht so gut getroffen haben, denn man könnte erschrecken: Das ist ja ein Mensch, er gleicht mir.
Das ist ein Brief an euch, die ihr stellvertretend für den grossen Rest mit den Menschen redet, in den Notschlafstellen, den Notunterkünften, an den Bahnhöfen, von denen sie verjagt werden, damit sie das gepflegte Bild nicht stören, auf den Bänken mit Armlehnen, damit man nicht auf ihnen liegen kann.
Aber das sehen die meisten Menschen nicht, die immer neuen Schikanen. Die Kleiderkammern, die Suppenküchen.
Wir, die mit Glück, wollen die Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht wirklich sehen, die es nicht so gut getroffen haben, denn man könnte erschrecken: Das ist ja ein Mensch, er gleicht mir, mit seinem Gesicht und dem verletzlichen Körper, mit der Abhängigkeit vom Wohlwollen anderer. Er gleicht mir mit seinen Hoffnungen, den Träumen, der Sehnsucht nach Beständigkeit, einem Zuhause und Liebe.
Ich wünsche mir, dass unser Land es allen Menschen, die hier leben, ermöglicht, es in Würde zu tun. Ohne Angst vor der Kälte, dem Hunger, der Einsamkeit.
Die meisten wollen sie nicht sehen, die Menschen, die weniger Glück hatten, weil sie Angst haben zu begreifen, dass unser Leben so gefährdet ist. Ein dummer Unfall, ein Schicksalsschlag, eine Entlassung.
Und nun – ist in den letzten zwei Jahren das Leben vieler, die es vorher schon nicht leicht hatten, noch mühsamer geworden.
Ich wünsche mir, dass unser Land, eines der Reichsten, es allen Menschen, die hier leben, ermöglicht, es in Würde zu tun. Ohne Angst vor der Kälte, dem Hunger, der Einsamkeit. Und uns allen, dass wir wieder ein wenig solidarischer werden und alle wahrnehmen als Teil der grossen Gemeinschaft, ohne die das Leben verdammt öde wäre.
Vielen Dank für eure Arbeit!