Das Wichtigste in Kürze:
- Typisch für Instagram sind idealisierte und bearbeite Hochglanzfotos.
- Mit der Stories-Funktion teilen Instagram-Nutzerinnen auch ungeschönte Schnappschüsse und Videos.
- Sich in den sozialen Medien aufrichtiger und weniger inszeniert zu geben, dient dazu, sich abzuheben, meint eine Medienwissenschaftlerin.
Ästhetisch statt authentisch?
Diese Welt besteht aus Ferienstränden und flauschigen Tieren, Fitnesserfolgen und Quinoa-Bowls. Instagram gilt als Bilderbuch des schönen Lebens, betrachtet durch einen pastellfarbenen Filter der Perfektion. Makellos und minimalistisch wirken die meisten der dort geteilten Fotos, optimistisch gefärbt und optimal ausgeleuchtet.
Wie jedes soziale Netzwerk hat auch Instagram ein bestimmtes Image: Ästhetik vor Authentizität. Bei Twitter diskutiert man Politisches, bei Facebook teilt man Privates – bei Instagram rückt man die Pancakes, die man zum Frühstück isst, ins Bild.
Annäherung unter Rivalen
Mit den sogenannten Stories hat Instagram vor einem Jahr eine neue Funktion eingeführt, die dieses Image in Frage stellt. Hier können spontan Schnappschüsse und kurze Videos aus dem Alltag geteilt und mit Text und Emojis versehen werden. Nach 24 Stunden verschwinden sie. Die Insta-Stories wirken wie ein Klon des Konkurrenten Snapchat (siehe Textbox).
Ob eine Story verwackelt ist oder schlecht ausgeleuchtet, ist zweitrangig: Die Bilder sind oft kaum nachbearbeitet. Sie wirken daher auf den ersten Blick näher an der alltäglichen Realität als auf Hochglanz getrimmte Strandfotos.
Selfies oder Scheitern
Die Stories-Funktion erweitert die Optik von Instagram ebenso wie die Inhalte. Unterdessen nutzen auch Promis und Influencer sie rege: Und zwar nicht nur, um sich von ihrer Schokoladenseite zu zeigen.
Klickt man sich durch aktuelle Stories, weiss man nie, ob einem Selfies vor dem Spiegel erwarten – oder ob jemand davon erzählt, was ihn gerade bedrückt oder wütend macht.
Ein digitaler Beichtstuhl?
Die Autorin Caroline Calloway verarbeitet etwa die Trennung von ihrem Freund in einer Story. Unternehmerin Sophia Amorusa äusserte ihren Ärger über Netflix , bevor das Streamingportal mitteilte, eine Serie über sie einzustellen. Beide erreichen über Instagram ein grosses Publikum.
Weil die Stories nach einer gewissen Zeit verschwinden, sinkt die Hemmschwelle, die eigene Gefühle preiszugeben. Als eine Art «digitalen Beichtstuhl» bezeichnete jüngst das Online-Magazin «Broadly» das soziale Netzwerk.
Keine Filter, trotzdem ästhetisch
Die Stories können als Teil eines Trends bei Instagram verstanden werden: Weg von der idealisierten Welt und hin zu mehr Aufrichtigkeit.
Unter Hashtags wie #NoMakeUp und #BodyPositivity greifen vor allem Frauen Schönheitsideale auf und setzen ihnen «ungeschminkte» Wahrheiten, Dellen, Rundungen und Bibeli, entgegen.
Einige Nutzerinnen legen sich unter «Finstagram» zweite Profile an, die ihren Alltag ungeschönt zeigen.
Alltag statt Idealwelt
Dass es, neben den herkömmlichen Instagram-Ästhetik, einen Trend zu mehr Authentizität gibt, beobachtet auch die Medienwissenschaftlerin Ulla Autenrieth von der Universität Basel.
«Zu diesem Trend gehören etwa Hashtags wie #NoFilter. Oder die Tendenz, auf Glamourfotos aus den Strandferien zu verzichten und stattdessen etwa lustige Begebenheiten aus dem Alltag zu teilen.»
Abweichen von der Norm
Das Bestreben, in sozialen Netzwerk natürlicher und weniger inszeniert zu wirken, sieht Ulla Autenrieth als logische Entwicklung. Denn dass es bei Instagram um eine Idealisierung der Realität geht, sei den meisten Nutzern klar.
«Wenn ich kreativ und innovativ sein will, dann muss ich eine gewisse Differenz zu dieser Norm setzten. Ich folge also nicht der Vorgabe: ‹Mache ein wunderschönes Bild, auch wenn die Sonne gerade nicht scheint›. Sondern ich zeige die ‹blanke› Realität.»
Doch: «Auch dabei findet eine Ästhetisierung statt.» Bild und Bildausschnitt werden etwa auch in den Stories gezielt ausgewählt.
Dass Menschen sich bewusst inszenieren, daran ändert sich auf Instagram also wenig. Doch wer sich von anderen abheben will, muss ab und zu ein wenig an der perfekten Oberfläche kratzen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Screenshot, 18.7.17, 17:40 Uhr