Vielleicht will die Jury des Schweizer Buchpreises dieses Jahr besonders mutig sein. Vor allem will sie sich nicht vom schnöden Publikumsgeschmack oder von Lieblingen der Kritik beeinflussen lassen.
Bis auf die Ausnahme von Christian Krachts «Eurotrash», der flächendeckend rezensiert worden ist, stehen lauter Bücher auf der Shortlist, die bis jetzt weder in Rezensionen noch beim Lesepublikum besonders gerockt haben.
Bücher im Kampfmodus
In den nominierten Werken ist fünfmal Kampf angesagt, was zum Teil auch für die Lektüre dieser Bücher gilt: Zweimal geht es um Geschlechterkampf, einmal um den Kampf gegen die kapitalistische Konsumgesellschaft, einmal muss um eine ausgestorbene Sprache von Indigenen gekämpft werden und einmal um eine alkoholkranke Mutter.
Die alkoholkranke Mutter macht es den Lesenden am leichtesten: Trotz ihrer Todesnähe blüht sie in Christian Krachts Bestseller «Eurotrash» noch einmal auf, als der Ich-Erzähler sie auf eine Reise durch die Schweiz mitnimmt. Krachts Handicap: Er hat den Buchpreis bereits einmal erhalten, und zwar 2016 für «Die Toten».
Zwei Debütantinnen
Das Handicap der vier übrigen Nominierten: Ihre Bücher müssen wir uns als Lesende hart verdienen. Der gewichtigste Brocken kommt von Martina Clavadetscher. Ihr Roman «Die Erfindung des Ungehorsams» verwebt künstliche Intelligenz, Roboter-Hightech und feministischen Utopismus – ein interessantes Leseabenteuer, auf das man sich geduldig einlassen muss.
Sehr engagiert ist auch Veronika Sutter. In ihrem Geschichtenbuch «Grösser als du» stellt sie Gewaltbeziehungen in der Zeitspanne der beiden Frauenstreiks 1991 und 2019 dar.
Neben Sutter ist auch Thomas Duarte ein Debütant. Bei ihm geht es um eine Nonprofit-Organisation und darum, wie der Einzelne allgemein die Zumutungen der Gesellschaft aushält.
Der fünfte Nominierte ist Michael Hugentobler, ein begnadeter Erzähler und Reporter, der uns in «Feuerland» auf eine Reise nach Patagonien entführt. Sein Held ist eigentlich ein Buch, in dem ein Missionar die Sprache eines patagonischen Stammes dokumentiert.
Erfolg als Makel
Tendenziell lässt sich sagen, dass es viel zu entdecken gibt in den ausgewählten Büchern – aber nicht unbedingt literarisch. Es ist nicht die Stunde der genuinen Sprachschöpfer und -schöpferinnen. Es kommen eher die Soziologen oder Feministinnen auf ihre Rechnung.
Die Abwesenden sind Autoren, deren Makel scheinbar ihr profaner Erfolg ist (Kracht als Ausnahme). Dana Grigorcea, deren origineller Dracula-Roman «Die nicht sterben» immerhin auf der Longlist des Deutschen Buchpreises steht, fand keine Mehrheit in der etwas akademisch-gestrengen Schweizer Jury. Auch Benedict Wells Roman «Hard Land» ist überraschenderweise nicht nominiert, obwohl er sogar Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste erreichte. Die Shortlist – ein Halleluja für Nobodys.