Es darf ruhig ein Kochbuch sein. Oder ein Gartenratgeber. Eltern können schon ihrem neugeborenen Baby ein Buch vorlesen. Das Kind wird zwar noch nichts davon verstehen, aber trotzdem geniessen, dass ihm vorgelesen wird. Es spürt die Aufmerksamkeit, die Stimmung und den Tonfall.
Diese gegenseitige Nähe ist ein guter Nährboden für den Aufbau einer Beziehung. Denn Vorlesen schlägt Brücken. Man verbringt Zeit zusammen und widmet sich ausschliesslich einander.
Liest man älteren Kindern vor, hat man gemeinsame Themen, über die man sich austauschen und philosophieren kann. Die Reaktion der Kinder auf eine Geschichte sieht man unmittelbar – und lernt sie dadurch noch besser kennen. Was beschäftigt sie, was amüsiert sie, was langweilt sie?
Vorlesen hilft, Empathie zu entwickeln
Mit Vorlesen schaffen Erwachsene Nähe zu den Kindern. Die Kinder erwerben – wie beim eigenen Lesen – wertvolle Kompetenzen. Sie entwickeln Fantasie, ihr Vorstellungsvermögen wird gefördert.
Die Kinder können sich so mit jemandem identifizieren und lernen, andere Perspektiven einzunehmen, entdecken neue Welten. Kinder müssen beim Zuhören auch mal etwas aushalten, das geschieht jedoch im geschützten Rahmen mit einer vertrauten Person.
Vorlesen hilft dem Kind, Sprach-, Sozial- und Selbstkompetenz zu entwickeln. In Ergänzung zu seiner Alltagssprache lernt es neue Wörter und Ausdrücke kennen. Es lernt, sich einzubringen, aber auch, sich zurückzuhalten. Und es lernt sich selbst kennen: Ein Kind weiss mit jeder Lektüre besser, was ihm gefällt.
Desinteresse bei Eltern?
Bei all diesen Vorteilen erstaunt es, dass laut der Stiftung Lesen ein Drittel aller Eltern nicht vorliest. Einerseits liegt das wohl an unserer vielbeschäftigten Gesellschaft. Andererseits wird das Vorlesen oft an Kindergarten und Schule delegiert. Wenn die Kinder selber lesen können, wird mit dem Vorlesen oft ganz aufgehört.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass viele Eltern glauben, ihre Art vorzulesen sei nicht gut genug. Ihnen kann man entgegnen: Es geht niemals darum, eine schauspielerische Glanzleistung hinzulegen, sondern um die Nähe und den Austausch. Dafür sind auch Hörbücher kein Ersatz.
Das Kind mitbestimmen lassen
Bleibt die Frage, wie Eltern die richtige Geschichte finden. Dazu gibt es objektive Kriterien: Die Geschichte sollte dem Alter des Kindes angepasst sein. Bei kleineren Kindern empfehlen sich Geschichten mit Bildern, wenigen Figuren, mit direktem Einstieg in die Geschichte und einem chronologischen Verlauf.
Je grösser Kinder werden, desto wichtiger sind Bücher, die nah an ihrem Alltag sind. In jedem Alter sollte das Kind bei der Auswahl des Buches mitbestimmen dürfen. Das pädagogisch wertvollste Buch bringt nichts, wenn es das Kind nicht interessiert.
Im Idealfall schaffen Eltern fürs Vorlesen eine ruhige, gemütliche Umgebung – mit Kuscheldecke und einer Tasse heisser Schokolade. Aber eigentlich braucht es zum Vorlesen nur ein Buch und zwei einander zugewandte Menschen. Vorlesen kann man immer und überall.