«Das geht so heute nicht mehr» – denkt man, wenn man in alten Globibüchern blättert oder alte Chasperlikassetten hört. Dieser Gedanke kommt auch Marge Simpson in der neusten Simpsons-Folge.
Als sie ihrer Tochter Lisa aus dem Lieblingsbuch ihrer eigenen Kindheit vorliest, wird ihr bewusst, wie rassistisch das Buch stellenweise ist. Marge versucht, die entsprechenden Passagen während des Vorlesens anzupassen.
Natürlich merkt das die neunmalkluge Lisa. Sie kommentiert: «Etwas, das vor Jahrzehnten noch bejubelt wurde und nicht als beleidigend galt, ist jetzt politisch inkorrekt. Was soll man da machen?»
Kritik an sich selbst statt an anderen
Die Simpsons, die für ihre beissende Gesellschaftskritik bekannt sind, üben in dieser Szene Selbstkritik.
Die Anspielung in dieser Szene wird nochmal hervorgehoben, als ein Foto des Seriencharakters Apu auf dem Nachttisch sichtbar wird. Auf dem Bild steht «Don't have a cow».
Dieser Satz wird von Lisas Bruder Bart benutzt, wenn er eine Reaktion für übertrieben hält. Er lässt sich sinngemäss mit «Mach dir nicht in die Hosen» oder «Entspann dich mal» übersetzen. Ein Kommentar, den man als Reaktion auf die Kontroverse um den indischen Ladenbesitzer Apu verstehen kann.
Gleichzeitig ist die wortwörtliche Übersetzung, «keine Kuh haben», eine Anspielung auf den hinduistischen Glauben von Apu.
Um diese Figur dreht sich die Szene letztendlich: Apu, der liebenswert ist und ein gutes Herz hat, schlechte Produkte zu horrenden Preisen verkauft, in einer arrangierten Ehe lebt und acht Kinder hat – und der mit einem starken indischen Akzent spricht.
Seine Figur sei klischiert und rassistisch, wurde in letzter Zeit oft kritisiert. Mit der am Sonntag ausgestrahlten Kinderbuch-Szene reagieren die Simpsons-Macher auf diese Kritik.
Ein Komiker findet's nicht lustig
Die Kontroverse um Apu läuft seit letztem Herbst. Losgetreten hat sie der Komiker Hari Kondabolu. Er ist ein grosser Fan der Simpsons, seit es die Show gibt.
Aber so toll er die Serie auch findet, so sehr geht ihm die Figur Apu auf den Keks. «The Problem with Apu»: So heisst seine Doku über den Simpsons-Charakter, die ein amerikanischer TV-Sender im November ausstrahlte.
Hari Kondabolu ist ein Sohn von indischen Immigranten. Sein Problem mit Apu: Stereotype über Inder seien hier der «Running Joke» – also das, was es ausmacht, dass wir über ihn lachen.
«Wie beleidigend kannst du's machen?»
Gesprochen wird Apu ausserdem von einem nicht-indischen Schauspieler, Hank Azaria. «Wie beleidigend kannst du's machen?», sei er beim Simpsons-Casting gefragt worden, erzählte Azaria in einer Talkshow. Das Ergebnis klinge für ihn nur «wie ein weisser Typ der einen Weissen nachahmt, der sich über meinen Vater lustig macht», sagt Kondabolu.
Apu war einer der ersten indischen Immigranten am Fernsehen überhaupt – fast alle kennen ihn. Dementsprechend prägte er das Bild von südasiatischen Charakteren, besonders in Komödien. Im Dok-Film von Kondabolu erinnern sich viele indischstämmige Promis, wie sie im Stil von Apu nachgeäfft wurden. Oder man bat sie bei Castings, doch bitte genauso zu sprechen wie er.
Das Netz reagiert kritisch
Die Doku löste damals im Netz eine heftige Diskussion aus: Zahlreiche Online-Artikel erschienen zum Thema und auf Twitter wurde unter dem Hashtag #The ProblemWithApu diskutiert. Der Komiker erhielt Lob und Zustimmung – wurde aber vor allem auch als über korrekt und humorlos abgestempelt.
Die neuste Folge hat die Debatte noch einmal angekurbelt. Einige User kommentierten wieder, das Thema sei belanglos, da alle Figuren aus den Simpsons überzeichnete Stereotypen seien.
Niemand so richtig glücklich
Aber auch Hari Kondabolu kritisierte die Szene in mehreren Tweets – er fand den Umgang mit dem Thema zynisch und fühlte sich zu Unrecht als «politisch korrekt» gelabelt.
Auf Twitter stimmten ihm einige zu. Auch dass ausgerechnet dem «progressiven» Charakter Lisa die Selbstkritik in den Mund gelegt wurde, löste bei manchen Zuschauerinnen Kopfschütteln aus.
Den Sturm vorausgesagt
So richtig glücklich scheint mit der Simpsons-Selbstkritik niemand zu sein: Einige Fans wünschen sich eine weniger saloppe Auseinandersetzung mit dem Thema. Andere wollen sich den vertrauten Verkäufermeister nicht nehmen lassen – selbst wenn es Stereotypen sind, die ihn sympathisch machen.
Die Macher äusserten sich bisher nicht zur Szene. Einer der Schreiber prophezeite aber zumindest vor Ausstrahlung, dass sie einen Twitter-Sturm auslösen würde.
Zumindest mit dieser Voraussage traf er ins Schwarze – wenn auch hier nicht klar wird, ob die Macher mit der Szene mehr als eine virale Explosion erreichen wollten.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Nachrichten, 10.4.18, 16.30 Uhr