Als Gorka Landaburu am 15. Mai 2001 die Morgenpost öffnete, zerfetzte eine Sprengstoffladung mehrere Fingerglieder an beiden Händen. Auch sein Gehör und ein Auge wurden geschädigt. Die Terrororganisation ETA («Euskadi ta Askatasuna», baskisch für «Baskenland zur Freiheit») hatte dem baskischen Journalisten eine Briefbombe geschickt, nachdem dieser in seinen Artikeln immer wieder das Morden der separatistischen Organisation verurteilte.
Noch aus dem Krankenhaus wandte er sich damals an die Terroristen: «Wenn ihr mich zum Schweigen bringen wollt, hättet ihr meine Zunge abschneiden müssen. Ich bleibe im Baskenland, bis Frieden herrscht.»
Kann Terror mit Gewalt beendet werden?
Die Worte hatten eine doppelte politische Botschaft. Denn Landaburu arbeitete damals nicht nur als Journalist, sondern gehörte auch zu den Aktivistinnen und Aktivisten der Initiative «Gesto por la paz» («Geste für den Frieden»). Jedes Mal, wenn die ETA wieder zugeschlagen hatte, rief Landaburu dazu auf, in der Öffentlichkeit den Toten und Verletzten zu gedenken – schweigend, ohne politische Parolen, ohne Parteiabzeichen.
Die Überzeugung dahinter: Terror endet nur, wenn beide Seiten auf Gewalt verzichten. «Wie die Ameisen haben wir dafür gearbeitet, dass sich diese Erkenntnis im Baskenland durchsetzt», erzählt der Journalist heute.
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Gewaltfrei dank starker Zivilgesellschaft
Die Zeit hat ihm Recht gegeben: Die ETA ist heute Geschichte. Zwar hatten auch jahrzehntelange Polizeiarbeit und juristische Verfolgung den Apparat der separatistischen Untergrundorganisation geschwächt. In erster Linie aber zwang die baskische Zivilgesellschaft das Ende des Terrors herbei, indem sie der Gewalt den Boden entzog. «Wir haben gelernt, dass wir uns über alle ideologischen Grenzen hinweg verständigen können, solange wir auf Gewalt verzichten», erklärt der Aktivist Paul Ríos. «An diesem Grundkonsens rüttelt heute so gut wie niemand mehr.»
Ríos war in den 1990er-Jahren Sprecher der Organisation Elkarri und Koordinator ihrer Nachfolgerin Lokarri. Den Initiativen gelang es, Vertretende fast aller Parteien zu Gesprächen zusammenzubringen. Auch Vertreterinnen und Vertreter der ETA-Sympathisierenden, die linksnationalistischen Izquierda Arbetzale, waren mit dabei.
Zwar scheiterten die drei damals initiierten Friedensinitiativen. Aber sie liessen das politische Umfeld der Terrororganisation erkennen, dass für Gewalt als Mittel der Politik kein Platz mehr war. «Um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, musste das politische Umfeld der ETA schliesslich seine Strategie ändern», so Ríos.
Die ETA delegitimiert sich selbst
Als einer der Wendepunkte gilt der Mord an Miguel Ángel Blanco im Juli 1997. Die ETA hatte den 29-jährigen Politiker der konservativen Volkspartei entführt, um die Rückführung sämtlicher inhaftierter Militanten ins Baskenland zu erzwingen. Nach Ablauf einer 48-stündigen Frist töteten die Entführenden ihre Geisel mit einem doppelten Kopfschuss.
Hatten früher viele aus Angst oder aus Sympathie für den Traum von der Unabhängigkeit geschwiegen, protestierten nun auch im Baskenland Hunderttausende gegen den Terror. Die ETA habe sich sukzessive selbst delegitimiert, stimmen Landaburu und Ríos überein.
Dann endlich: die Auflösung
Zwar bemühten sich auch die unterschiedlichen Regierungen in Madrid um ein Ende des Terrors. Letztlich aber führten weder die unter Felipe González begonnenen Geheimverhandlungen noch die Null-Toleranz-Politik von José María Aznar oder der Anti-Terror-Pakt zum Erfolg: Die ETA löste sich am 3. Mai 2018 selbst auf.
Das Vorfeld dafür bot die internationale Friedenskonferenz unter Leitung des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan. Fünf Friedensnobelpreisträger riefen die ETA im Oktober 2011 dazu auf, die Gewalt einzustellen. Drei Tage nach Abschluss verkündete die Terrororganisation einen unbefristeten Waffenstillstand.
Die damals verabschiedete Marschroute sah abschliessende Verhandlungen zwischen ETA-Vertretenden und der spanischen Regierung vor. Wegen eines Regierungswechsels kam es nie dazu. Bis die Organisation den Behörden Waffen, Patronen und drei Tonnen Sprengstoff aushändigte, sollten noch sechs weitere Jahre vergehen.
Der baskische Sonderweg – ein Erfolgsmodell?
«Unser Friedensprozess war vielleicht langwieriger und komplexer als der vergleichbarer Konflikte, aber genau das ist seine Stärke», glaubt Paul Ríos. Der Aktivist und Friedensforscher verweist auf Studien, nach denen 65 Prozent der Friedensabkommen scheitern, wenn allein Regierungsvertretende mit den Terroristen verhandeln. «Je stärker die Zivilgesellschaft beteiligt ist, desto stabiler das Ergebnis.»
Auch Gorka Landaburu, der die Gewalt der ETA am eigenen Leib erfahren hat, ist vom Erfolg des baskischen Sonderwegs überzeugt. «Wir mögen uns heute darüber streiten, wie der Opfer und Täter des Konflikts gedacht werden soll. Aber alle sind sich darüber klar, dass sich diese Gewalt nie mehr wiederholen darf.»