Cyborgs in der klassischen Literatur? Lange Gesichter in der SRF-Literaturredaktion: Menschen, bei denen Körperteile durch maschinelle Geräte, Körperfunktionen durch elektronische Schaltstellen ersetzt wurden, gibt's nicht als literarische Figuren! Götz von Berlichingen vielleicht, Goethes Wütherich mit der Eisenfaust. Aber diese Eisenfaust ist nicht mehr als ein charakterbildendes Attribut.
Menschenähnliche Kunstfiguren dagegen, von Golems über mechanische Puppen bis zu humanoiden Robotern, beschäftigen Dichter und Dichterinnen seit der Antike. Erfunden werden sie in der Regel als Diener oder Partner des Menschen – und wachsen ihren Schöpfern nicht selten über den Kopf. Sie verkörpern den Traum eines vollendeten Wesens: der unbesiegbare Gehilfe, die willige Gespielin.
1. Galatea, die Perfekte
Der griechische Titan Prometheus hauchte seinen Lehmfiguren Leben ein und erschuf so den Menschen. Seither eifern menschliche Möchtegern-Götter danach, die Schöpfung zu perfektionieren. Der zypriotische Künstler Pygmalion etwa aus den «Metamorphosen» des römischen Schriftstellers Ovid. Enttäuscht von den echten Frauen, erschafft er sich eine vollendete Elfenbeinstatue, die ihm die Göttin Venus zum Leben erweckt. Dieses perfekte Wesen, Projektionsfläche für männliche Sehnsüchte, seit dem 18. Jahrhundert «Galatea» genannt, inspiriert immer wieder Maler, Bildhauer, Komponisten und Dichter.
2. Eliza Doolittle, die abgerichtete Sprechmaschine
Den irisch-britischen Autor George Bernard Shaw etwa in seinem Theaterstück «Pygmalion» von 1913. Ein Linguist will einem Blumenmädchen die Sprache der feinen Gesellschaft beibringen und dressiert sie schliesslich zum Sprech-Automaten. Kulturelles Allgemeingut wurde dieser Stoff durch die Musical-Verfilmung «My fair lady» mit Rex Harrison und Audrey Hepburn.
3. Olimpia, die steife Schönheit
Auch Olimpia aus E.T.A. Hoffmanns Erzählung «Der Sandmann» von 1816 agiert wie ein Puppe. Nur der in sie verliebte Erzähler will und kann nicht wahrhaben, dass dieses wunderschöne Wesen, das singt und tanzt, nichts anderes ist als ein Automatenmensch, der am Schluss zerstört vor seinen Füssen liegt.
4. Sennentuntschi, die grausame Rächerin
Nicht bloss ihre Illusionen, sondern sogar ihr Leben lassen müssen die Männer in der weitverbreiteten Alpensage vom Sennentuntschi. Die Strohpuppe, zum Leben erwacht und von den Sennen als Arbeits- und Sexsklavin ausgebeutet, rächt sich, als es an den Alpabzug geht. Grausiges Zeugnis der männlichen Hybris ist die ausgespannte Haut des Sennen auf dem Dach der Alphütte.
5. Golem, der gewaltige Gehilfe
Die Geister, die er rief, wird auch Goethes Zauberlehrling nicht so schnell wieder los. Der Jüngling verzaubert hinter dem Rücken seines Meisters einen Besen als Gehilfen, ohne den Zauber rückgängig machen zu können. Eine Wurzel dieser als Ballade erzählten Geschichte reicht zurück bis zum Riesen Golem aus der mittelalterlichen jüdischen Erzähltradition. Auch dieser Gehilfe, aus Lehm geformt und durch Buchstabenmystik erweckt, engleitet der Macht seines Schöpfers, dem Prager Rabbi Löw.
6. Frankenstein, das verzweifelte Monster
Ganz schlecht heraus kommt bekanntlich das Experiment des Schweizers Viktor Frankenstein, der aus Leichenteilen ein Wesen zusammenflickt, das er mittels galvanischer Blitze zum Leben erweckt. Frankensteins Monster hat eine neue Eigenschaft in der Reihe der künstlichen Wesen: Es meldet vehement menschliche Bedürfnisse an. Es leidet daran, einsam und ausgestossen zu sein, und beginnt aus schierer Verzweiflung zu morden.
7. Nexus 6-Androiden, die Menschengleichen
Bis hierher waren die künstlichen Wesen entweder roh gezimmerte Kraftmonster oder formvollendete Schönheiten, bei denen die Plausibilität ihrer Entstehung keine Rolle spielte. Mit dem technischen Fortschritt gerät die reale Machbarkeit von humanoiden Robotern immer stärker in den Fokus. Und damit auch ganz praktische Fragen: Haben Androiden auch Rechte? Muss man die Grenze des Menschseins definieren?
Diese Fragen stellt Philip K. Dick in seinem stilbildenden Roman «Träumen Androiden von elektrischen Schafen?» aus dem Jahr 1968, der durch Ridley Scotts Verfilmung «Blade Runner» von 1982 Weltruhm erlangte. Die Androiden der neusten Nexus-6-Generation sind hier nur noch durch ausgeklügelte Befragungstests, bei denen sie ihre Empathiefähigkeit unter Beweis stellen müssen, vom Menschen zu unterscheiden. Aber auch diese Grenze wird, zumindest im Film, durchlässig: In der berühmten Schlussszene, als die kurze Lebensspanne des Androiden Roy Batty abläuft, zeigt er eine genuin menschliche Eigenschaft: Trauer.