Die Ozeane und Meere sind alles andere als stille Orte – auch wenn wir Menschen nichts davon mitbekommen. Wale, Fische, wirbellose Tiere wie Krebse und selbst Krill, sie alle singen, schreien, knirschen oder klopfen und orientieren sich auf diese Weise in den unendlichen Weiten der Meere.
Doch seit rund 60 Jahren werden die tierischen Laute immer öfters gestört oder sogar übertönt. Zum Beispiel durch den Motorlärm der Frachter und Touristenschiffe.
Lärmige Suche nach Öl
Den schlimmsten Krach verursachen jedoch Druckluftkanonen. Diese werden unter der Wasseroberfläche ausgelöst und erzeugen Druckwellen, die sich in alle Richtungen ausbreiten. Solche seismischen Untersuchungen werden von Ölfirmen und Geologen durchgeführt, um den Meeresboden nach noch unentdeckten Öl- und Gasreserven abzusuchen.
«Es ist ein regelrechter Run auf die letzten noch unentdeckten Ölquellen unter Wasser ausgebrochen», sagt Sigrid Lüber von der Organisation OceanCare, die sich für den Schutz der Meere einsetzt. Der Lärm, der alle paar Minuten ausgelösten Druckluftkanonen, durchdringt über mehrere Tage die Meere.
Nicht selten würden sich die betroffenen Gebiete jedoch mit Orten überschneiden, wo besonders viele Tiere leben, sagt Lüber. Das sei beispielsweise zwischen den Balearen und dem spanischen Festland der Fall. Durch diesen natürlichen Korridor ziehen jedes Jahr viele Wale, weil sie dort ein reiches Nahrungsangebot vorfinden.
Erschwerte Nahrungssuche
Das ist ein Problem, denn der Lärm geht nicht spurlos an den Tieren vorbei. OceanCare publizierte vor einigen Monaten eine Studie über die Auswirkungen von Lärm auf Fische und wirbellose Tiere.
Auf der ganzen Welt beobachten und dokumentieren Forscherinnen und Forscher, was der Lärm mit den Tieren macht: Bei manchen zerstört er die Gehörorgane.
Andere Tiere wiederrum sind so gestresst, dass sie sich weniger erfolgreich fortpflanzen oder nach Nahrung suchen. Selbst die grossen Wale sind betroffen. Vor der Küste bei Vancouver etwa machen Schwertwale heute um 25 Prozent weniger Beute als früher.
Forscher sind besorgt
Trotz dieser beunruhigender Befunde wisse man praktisch nichts darüber, ob der Lärm nur einzelnen Individuen oder ganzen Tierpopulationen schade, sagt Hans Slabbekoorn.
Der Biologe von der Universität Leiden beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema, aktuell im Rahmen eines Forschungsprojekts, an dem auch Ölfirmen beteiligt sind. «Die Frage ist: Vertreibt der Lärm die Tiere oder schadet er ihrer Fitness und somit der gesamten Population?», sagt Slabbekoorn.
Auch der Biologe und Bioakustiker Christopher Clark von der Cornell Universität in New York ist sich der grossen Wissenslücken bewusst. Trotzdem ist er beunruhigt.
Besonders alarmiert hat ihn – wie viele andere Wissenschaftler auch – eine Studie aus dem letzten Jahr. Eine australische Forschungsgruppe hat gezeigt, dass selbst Zooplankton durch den Lärm Schaden nimmt.
Mehr totes Zooplankton
Zooplankton – auch Krill genannt – sind winzige Tiere, die sich nicht selbständig fortbewegen können, sondern durch die Meeresströmungen transportiert werden.
Die Forscher beobachteten, dass nach einer Explosion einer Druckluftkanone drei bis viermal so viel totes Zooplankton im Wasser trieb, als im ruhigen Wasser.
«Das ist ein starkes Indiz dafür, dass etwas Schwerwiegendes vor sich geht, von dem wir noch nichts ahnten», sagt Clark. Die australische Studie sei deshalb so alarmierend, weil Zooplankton ganz am Anfang der Nahrungskette steht. Stellt sich heraus, dass Lärm Zooplankton im grossen Mass dezimieren, dann hätte das Auswirkungen auf alle anderen Tiere im Meer.
Wird die UNO den Lärm eindämmen?
Sigrid Lüber von OceanCare fordert deshalb, dass die lärmintensiven seismischen Untersuchungen aus gewissen Gebieten ganz verbannt werden und dass Schiffe mit leiseren Motoren fahren müssen.
Letzte Woche beschäftigte sich zum ersten Mal die UNO mit dem menschengemachten Lärm in den Ozeanen. Forscherinnen, Industrievertreter, Politiker und Umweltschutzorganisationen diskutierten über den Krach.
Im Herbst will die UNO neue Regeln für die Hochsee beschliessen. Ob sie so weit geht, wie sich Sigrid Lüber von OceanCare das wünscht, ist offen. Immerhin: Das Problem Ozeanlärm ist erkannt.