Zum Inhalt springen
Schneehase
Legende: In den Bergen, wo Wildtiere auch mit Schnee zu kämpfen haben, können Störungen über Leben und Tod der Tiere entscheiden. Flickr/Bad Kleinkirchheim

Mensch und Wildtiere Unsere Hobbies stressen Tiere

Schneeschuhlaufen, Wandern, Mountainbiken: Was für den Menschen schön und entspannend ist, kann für Tiere störend sein. Auch nachts.

Outdoor-Aktivitäten haben in den letzten 30 Jahren deutlich zugenommen, sagt Wildtierforscher Roland Graf. Er forscht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil unter anderem darüber, wie Wildtiere von den Menschen gestört werden.

Es sei aber positiv zu bewerten, wenn die Leute mehr rausgingen, so Graf: «Wenn die Menschen die Begegnung mit der Natur erleben, dann sind sie meistens auch bereit, etwas dafür zu tun, dass sie erhalten bleibt.»

Audio
Stress für Tiere
aus Wissenschaftsmagazin vom 17.03.2018. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 38 Sekunden.

Und doch: Mit dem Aufsuchen der Natur wird sie gleichzeitig auch gestört. Vielfach kommt es zu Begegnungen, die der Mensch gar nicht bemerkt. Denn die Tiere nehmen uns oft schon viel früher wahr als wir sie.

Spähen, riechen, sichern

«Es gibt Wildtiere, die stärker visuell orientiert sind, andere arbeiten sehr stark mit dem Geruch, etwa ein Rothirsch. Wenn ein Wildtier den Menschen erspäht oder errochen hat, reagiert es. Es wird aufmerken, seine Tätigkeit unterbrechen und ‹sichern›», also seine Umgebung aufmerksam beobachten: Mit Nase, Augen und Ohren wird in alle Richtungen überprüft, wie gross die mögliche Gefahr ist – und allenfalls die Flucht ergriffen.

Ob ein Tier aber tatsächlich flieht, hängt von vielen Faktoren ab, sagt Roland Graf: «Es gibt Tierarten, die lassen den Menschen relativ nah rankommen. Es hängt von der Situation in der Landschaft ab: Ist da eine deckende Vegetation zwischen dem Menschen und dem Wildtier oder nur eine offene Fläche?»

Besonders im Winter muss Energie gespart werden

Die Wildtierforschung zum Fluchtverhalten hat sich bisher vor allem auf Gebiete konzentriert, die vom Menschen eher wenig begangen werden: Offene, freie Flächen, wie sie etwa in den Hochalpen zu finden sind.

«Besonders im Winter sind die Tiere darauf angewiesen, dass sie Energie sparen können. Wenn sie eine Flucht unternehmen müssen, ist das aufwendig. Nur schon im hohen Schnee ist die Anstrengung höher. Das kann in der Endabrechnung dann knapp werden mit dem Energiebudget.»

Das kann im Extremfall lebensbedrohlich sein für ein Tier. Doch meist sind die Auswirkungen subtiler. Die Tiere sind gestresst und das ist schlecht fürs Immunsystem und schliesslich auch für die Fortpflanzung.

Neue Gefahr: Drohnen

«Bei Auerhühnern, Schneehasen und Birkhühnern etwa wurde festgestellt, dass ihr Stresshormonlevel erhöht ist in Gebieten, in denen viel menschliche Aktivität läuft.»

Doch dass draussen mehr Menschen als früher unterwegs sind, ist nicht die einzige neue Herausforderung für die Wildtiere: «Auch mit Drohnen kann man Wildtiere stören – besonders dann, wenn man beispielsweise an Horstfelsen von Steinadlern heranfliegt. Und auch Gemsen können sich bedroht fühlen.»

Das Reh meidet die Nähe von Forststrassen

Noch grösser als in den Alpen ist der Druck auf die Wildtiere aber im Mittelland. Die Siedlungsgebiete dehnen sich immer mehr aus, eine wachsende Bevölkerung sucht Erholung draussen Ruhe und Entspannung. Immer mehr auch abends und sogar nachts.

Es sind vor allem Mountainbiker, die mit leistungsstarken LED Stirnlampen durch die Dunkelheit flitzen. Was das für die Tiere im Mittelland bedeutet, will Graf mit seinem Team am Verhalten von Rehen erforschen. Dazu haben sie Rehe mit Sendern versehen und beobachtet, wo sie sich genau aufhalten.

«Wir haben gesehen, dass das Reh die Nähe von Forststrassen meidet. Am Tag ist das nachvollziehbar. Aber uns hat überrascht, dass das auch bereits in der Nacht so ist.» So werden immer grössere Flächen für das Reh zur No-Go-Zone, wo es nicht mehr hin will.

Abgewerteter Lebensraum

«Diese Meidung der Wege und der Strassen bewirkt, dass ein grosser Teil des Gebiets für das Reh schlechter nutzbar ist. Das macht relativ viel aus. Man würde vielleicht denken, 25 Meter links und rechts des Weges ist nur ist ein kleiner Streifen, aber in einem Naherholungsgebiet wie dem Landforst bei Zürich macht das über 40 Prozent der Fläche aus.»

Die vielen Strassen, Strässchen und Wege in unseren Wäldern werten damit für die Wildtiere den Lebensraum Wald insgesamt ab. Denn neben dem Reh seien insbesondere auch Brutvögel betroffen, deren Lebensraum so schrumpfe.

Wegnetz reduzieren?

Roland Graf plädiert deshalb für weniger Wege insgesamt: «Man muss sich Gedanken machen, ob dieses dichte Wegnetz im Mittelland überall notwendig ist.»

Im Mittelland mag das Problem nicht allzu akut sein, das Reh wird nicht aussterben. Allenfalls verschwinde es aus gewissen Waldgebieten. Doch hoch oben in den Bergen, wo Rehe, Auerhühner und Hasen auch noch mit Schnee zu kämpfen haben, können Störungen über Leben und Tod der Tiere entscheiden.

Meistgelesene Artikel