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Illustration der Ur-Blüte
Legende: Die Ur-Blüte war zweigeschlechtlich und hatte eine Blütenhülle von in Dreierkreisen angeordneten Organen. Hervé Sauquet/Jürg Schönenberger

Ur-Blüte rekonstruiert So sahen Blüten vor 140 Millionen Jahren aus

Der Ursprung der Blütenpflanzen ist ein ungelöstes Rätsel in der Biologie. Der Schweizer Botaniker Jürg Schönenberger und ein internationales Forschungsteam haben nun berechnet, wie die Ur-Blüte ausgesehen haben könnte.

Ursprung der Blüten

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Die ersten Blütenpflanzen sind vor rund 140 Millionen Jahren in der Kreidezeit entstanden, als noch Dinosaurier auf der Erde lebten. Ihr Ursprung und ihre rasante Evolution wurde schon von Charles Darwin als «abominable mystery», als schreckliches Mysterium, bezeichnet. Auch heute noch ist es eines der grössten, ungelösten Rätsel in der Biologie.

SRF: Was ist die wichtigste Erkenntnis aus Ihrem Forschungsprojekt?

Jürg Schönenberger: Wir haben jetzt eine gute Idee davon, wie diese ursprüngliche Blüte ausgesehen haben könnte. Dabei spielt vor allem die Frage nach der sogenannten Zweigeschlechtlichkeit eine wichtige Rolle: Hat die ursprüngliche Blüte sowohl weibliche wie auch männliche Organe vereint oder waren diese separat auf männliche und weibliche Blüten verteilt?

Wir haben herausgefunden, dass die ursprüngliche Blüte sehr wahrscheinlich beide Geschlechter in einer Blüte vereint hat. Das ist eine Frage, die die Botaniker seit etwa 200 Jahren beschäftigt. Wir hoffen, jetzt endlich eine Antwort gefunden haben.

Ist die Ur-Blüte mit den Blüten heutiger Pflanzen vergleichbar?

Für einige Merkmale ist sie durchaus mit heutigen Blüten vergleichbar. Zum Beispiel war sie wahrscheinlich dreizählig, das heisst die Organe waren in Dreierkreisen angeordnet.

Aber es gibt heute keine direkt vergleichbare lebende Art. Die Ur-Blüte unterschied sich in verschiedenen Merkmalen von allen heute lebenden Blütenarten.

Wir haben die Wahrscheinlichkeit berechnet, wie diese Blüte ausgesehen haben könnte.

Inwiefern sind diese Ergebnisse bahnbrechend?

Wir haben nicht aufgrund von Fossilfunden oder aufgrund von Vergleichen mit heute lebenden Gruppen ein Bild entworfen, sondern wir haben gerechnet. Wir haben sozusagen die Wahrscheinlichkeit für die verschiedenen Merkmale berechnet, wie diese Blüte ausgesehen haben könnte.

Dadurch sind unsere Ergebnisse reproduzierbar und andere Botanikerinnen und Botaniker können anhand unserer Daten nachrechnen, ob wir ein richtiges Ergebnis erhalten haben oder nicht.

Schema mit verschiedenen Blüten
Legende: So haben die Blüten an anderen Schlüsselstellen im evolutiven Stammbaum der Blütenpflanzen ausgesehen. Hervé Sauquet/Jürg Schönenberger

Sie haben gewissermassen das Rad der Evolution zurückgedreht?

Das kann man ein Stück weit so sagen. Stellen Sie sich vor, Sie haben zwei heute lebende nahe verwandte Arten, die beide rote Blüten haben. Dann ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass deren gemeinsamer Vorfahre, der vielleicht vor ein oder zwei Millionen Jahren gelebt hat, ebenfalls rote Blüten hatte.

Wenn Sie zwei heutige Blüten nehmen, von denen die eine rot und die andere weiss ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass der gemeinsame Vorfahre rote Blüten hatte, nur noch halb so gross.

Zur Person

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Der Schweizer Botaniker Jürg Schönenberger ist Professor am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien .

Die Studie zur Ur-Blüte erscheint aktuell in der Fachzeitschrift «Nature Communications».

Wenn Sie nun die Daten von vielen heute lebenden Blütenpflanzen zusammennehmen, können Sie immer weiter zurückrechnen und erhalten am Schluss ein mehr oder weniger genaues Bild, wie der gemeinsame Vorfahre aller Blüten ausgesehen hat. Man rechnet zurück in der Zeit mithilfe eines Stammbaumes, den wir schon kennen, und erhält so ein Bild dieser ursprünglichen Blüte.

Wie gesichert sind diese Erkenntnisse?

Die Sicherheit der Erkenntnisse unterscheidet sich für die verschiedenen Merkmale, aber wir haben ein genaues Bild dieser Unsicherheit. Für gewisse Merkmale sind wir sicher, dass es so war, für andere Merkmale ist die Unsicherheit etwas grösser.

Das wichtigste ist, dass wir wissen, wie gross die Unsicherheit ist. Das ist ein wichtiger Unterschied zu früheren Studien, wo man nicht wusste, was sicher ist und was nicht.

Es besteht die Möglichkeit, dass in den nächsten Jahren Blüten aus dieser Zeitepoche gefunden werden.

Wäre der letzte Beweis für diese Erkenntnisse denn ein Fossil dieser Ur-Blüte? Wie gross ist Ihre Hoffnung, einst ein solches Fossil zu finden?

Diese Hoffnung besteht durchaus. Es werden jedes Jahr noch immer viele neue Fossilien gefunden und beschrieben. Die ältesten Blütenfossilien, die man kennt, sind etwa 130 Millionen Jahre alt.

Wir wissen aber aus anderen Studien, dass diese Ur-Blüte wahrscheinlich mindestens 140 Millionen Jahre vor unserer Zeit gelebt haben muss. Das heisst, es gibt eine Lücke zwischen diesen 140 und 130 Millionen Jahren.

Aber es besteht durchaus die Möglichkeit, dass in den nächsten Jahren Blüten aus dieser Zeitepoche gefunden werden. Es wäre natürlich schön, wenn diese dann ähnlich wie das ist, was wir für die Ur-Blüte berechnet haben.

Immerhin weiss man jetzt ungefähr, wonach man suchen muss.

Genau. Wir haben sozusagen ein Suchbild entworfen. Die Paläobotaniker, also die Kollegen, die sich mit ausgestorbenen Blüten und Blütenpflanzen beschäftigen, können jetzt nach dieser Blüte suchen.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 3.8.2017, 17:08 Uhr

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