Alle Haushalte, die sich im Umkreis von 50 Kilometern um die Atomkraftwerke Beznau, Leibstadt (beide AG), Gösgen (SO) oder Mühleberg (BE) befinden, erhalten ab Montag vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) eine Packung Kaliumiodid-Tabletten zugeschickt. Insgesamt sind das 4,9 Millionen Menschen im gesamten Mittelland, der Nordwest- und Zentralschweiz.
Als Reaktion auf die AKW-Katastrophe im japanischen Fukushima hat der Bundesrat beschlossen, den Verteilradius zu erweitern. Bisher wurden die Tabletten nur an die Bevölkerung im Umkreis von 20 Kilometern um die Atomkraftwerke verteilt.
Neu beträgt der Radius 50 Kilometer, was die Zahl der Empfänger massiv erhöht. Zuvor hatten 1,2 Millionen Menschen die Tabletten zu Hause, neu sind es fast 5 Millionen.
Die Jodtabletten bewahrt man am Besten zu Hause auf. Nebst der aktuell gelieferten persönlichen Packung erhalten auch Schulen, grössere Firmen, etc. ein Lager an Jodtabletten für den Notfall.
Radius und Wirksamkeit bleiben umstritten
Ob der 50-Kilometer-Radius ausreichend ist, darüber sind sich Bund und AKW-Gegner nicht einig. Verschiedene atomkritische Verbände hatten Zweifel geäussert und gefordert, dass die gesamte Schweizer Bevölkerung die Notfall-Tabletten erhalten oder dass der Radius vergrössert werden soll.
Der Bund hat allerdings – auch aus Kostengründen – den aktuellen Radius beschlossen. Tabletten für die übrige Bevölkerung ausserhalb dieses Gebietes werden demnach in zentralen Lagern aufbewahrt und würden erst im Falle eines Atomunfalls an die Menschen verteilt. Dies sei ausserhalb der 50-Kilometer-Zone rechtzeitig möglich, beteuert der Bund.
Die Organisation Ärzte und Ärztinnen für Umweltschutz bezweifelt das und hätte eine Ausweitung auf einen 100 Km Radius begrüsst, wie Alfred Weidmann, Mitglied des Zentralvorstandes gegenüber Radio SRF ausführt: «Je nach Windverhältnissen hat man auch ausserhalb der 50-Km-Zone nur rund eine Stunde Zeit um die Tabletten einzunehmen.»
Daniel Storch von der Abteilung Strahlenschutz beim Bundesamt für Gesundheit entgegnet, dass man die Tabletten im Fall der Fälle auch ausserhalb der Zone ausreichend schnell auftreiben könnte: «Bei einem Alarm würde man ja sowieso so schnell wie möglich einen geschützten Raum aufsuchen und dort hätte es auch Tabletten.»
«Ob das nützt? Wir hoffen, dass wir es nicht brauchen»
Die Bevölkerung in der Stadt Grenchen zum Beispiel erhält erstmals solche Jodtabletten. Eine Umfrage von Radio SRF zeigt unterschiedliche Reaktionen. «Ich war überrascht, dass wir im Radius drin sind», meinte ein Passant. Andere wiederum haben sich trotz Informationsblatt nicht wirklich informiert.
Im Gegensatz dazu hat man sich in der Aargauer Hautpstadt Aarau an die Jodtabletten gewöhnt. Seit Jahren ist Aarau im engeren Verteilradius. Neuzuzüger erhalten zum Beispiel auch seit Jahren eine Packung Jodtabletten zur Begrüssung (neu einen Gutschein für den Bezug der Tabletten in einer Apotheke).
«Wir könnten auch ohne Tabletten gut schlafen. Es gibt überall Risiken, hoffen wir, dass ein Ernstfall nicht eintritt», meint ein Passant am Aarauer Bahnhof gegenüber Radio SRF. Der Kühlturm des AKW Gösgen ist von Aarau aus gut sichtbar, das Thema Atomkraft ist damit nichts Neues.
Streit um Kosten noch ungelöst
Die Kosten für den zusätzlichen Versand von Jodtabletten betragen rund 30 Millionen Franken. Bezahlen müssen dies laut Bund und Kantonen die Betreiber der Atomkraftwerke. Es gelte das Verursacherprinzip, heisst es beim Bund.
Die AKW-Betreiber sind jedoch anderer Ansicht. Die AKW-Organisation Swissnuclear stellt sich auf den Standpunkt, dass der Verordnung teilweise die Rechtsgrundlage fehle und dass sie das Verhältnismässigkeitsprinzip verletze. Kurz: Die Betreiber der Atommeiler wollen die Kosten nicht übernehmen.
Derzeit ist dieser Streit noch pendent und weder die Betreiber noch der Bund äussern sich momentan dazu.