Es ist ziemlich was los an diesem Spätsommerabend in einem Park unweit des Kremls. Ein bekannter Popsänger trällert einen Hit, hunderte Moskauerinnen und Moskauer hören zu. Die Veranstaltung kommt daher wie ein fröhliches Musikfestival. Eigentlich ist sie aber Wahlkampf für Sergej Sobjanin. Auf einem riesigen Bildschirm erscheint immer wieder der Name des Moskauer Bürgermeisters.
Spass und Politik gehen Hand in Hand in diesen Tagen in Moskau. «Wir sind nicht wegen Sobjanin hier» sagt Julia, eine Frau um die vierzig, die mit Freunden in der Stadt unterwegs ist. «Wir geniessen einfach das Konzert.» Ein Mann aus der Clique schaltet sich ein: «Ich finde Sobjanin macht seinen Job sehr gut. Die Stadt hat sich zum Besseren verändert. Allein schon, was den öffentlichen Verkehr betrifft, aber auch sonst».
Sergej Sobjanin hätte Freude an so viel Begeisterung. Er selber ist eher eine blasse Figur. Wenn er redet, tönt es oft, als würde er sich selber langweilen. Den direkten Kontakt mit dem Volk scheint er zu meiden. Ursprünglich stammt der heute 60-Jährige aus Sibirien. Seinen Aufstieg an die Spitze der Hauptstadt verdankt er seiner Loyalität zu Präsident Putin.
Was für eine Vorstellung er von Stadtentwicklung hat, erklärte er kürzlich dem russischen Fernsehen: «Früher ging es in der Stadtpolitik um Industrie, Verkehr, Technologie. Heute zählt allein der Mensch. Alle grossen Städte stehen in einem Wettbewerb untereinander, sie werben um die talentiertesten Menschen.» Deshalb müsse man für gute Lebensbedingungen sorgen.
Tatsächlich hat Sobjanin massiv in die Infrastruktur investiert. Grosse Teile der Innenstadt sind saniert worden, Trottoirs verbreitert, Fussgängerzonen und Velowege eingerichtet. Moskau hat sich ein Facelifting gegönnt. Allein die Aufhübschung von Strassen liess sich die Stadt im vergangenen Jahr umgerechnet eine Milliarde Franken kosten.
Ein Mann, den das wenig beeindruckt, ist Ilja Jaschin. Er ist einer der bekanntesten liberalen Oppositionspolitiker von Russland. «Moskau ist angenehmer geworden für Touristen, aber nicht für die Menschen, die hier leben.» Sobjanin lenke immer mehr Geld in eine Politur der Oberfläche, kritisiert Jaschin. Die Ausgaben für Bildung und für das Gesundheitswesen aber würden gekürzt.
«Das hat damit zu tun, dass sich ein schönes Stadtbild leicht PR-mässig ausschlachten lässt. Zudem, und das ist auch ein wichtiger Punkt, sind diese ganzen Sanierungsmassnahmen ein Tummelfeld für korrupte Machenschaften.» Als Beispiel nennt Jaschin Randsteine aus Granit, welche die Stadt kilometerweise verlegt. Im Handel kosten diese Randsteine 2300 Rubel pro Meter. Die Stadtverwaltung bezahle aber über 4000 Rubel – die Differenz, so Jaschin, verschwinde in den Taschen von korrupten Beamten.
Intransparenz, Korruption, Willkür der Mächtigen: Diese Krankheiten des russischen Staates wüten auch in Moskau. Sobjanins Modernisierung ist denn auch nur oberflächlich. Besonders bemerkbar macht sich das in der Politik, wo das Klima kälter geworden ist. Die liberale Opposition kann in der Hauptstadt kaum mehr Demonstrationen anmelden, und bei der Wahl vom Sonntag wurde kein echter Gegenkandidat zugelassen.
Wenn Sobjanin so ein guter Stadtpräsident ist, warum scheut er dann Konkurrenz?
Oppositionspolitiker Jaschin etwa wäre gerne angetreten. Doch ein restriktives Wahlgesetz verunmöglichte seine Kandidatur. «Da frage ich mich schon: Wenn Sobjanin so ein guter Stadtpräsident ist, warum scheut er dann Konkurrenz?»
Moskau ist schöner geworden unter Sergej Sobjanin, zweifellos. Es gibt neue Parks, sanierte Strassen und jetzt, vor den Wahlen, sogar Gratis-Konzerte. Aber wirklich mitreden, mitbestimmen dürfen die Menschen in der Stadt nicht.