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Türkischer Abstimmungskampf in der letzten Runde
Aus Tagesschau vom 13.04.2017.
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Referendum in der Türkei Die wichtigsten Fragen und Antworten

Der Türkei steht möglicherwese der grösste Umbau des politischen Systems seit der Gründung der Republik 1923 bevor. 55 Millionen Türken stimmen heute über eine Verfassungsreform ab. Aber um was geht es eigentlich genau?

Worum geht es und warum muss abgestimmt werden? Präsident Recep Tayyip Erdogan und die von ihm mitbegründete Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) liebäugeln schon seit längerem mit einem Präsidialsystem, das dem Staatschef mehr Macht einräumt. Heute sieht das Präsidentenamt vor allem repräsentative Aufgaben vor. Erdogan interpretiert diese Funktion allerdings bereits heute weiter.

Wer sind die Befürworter und wie argumentieren sie? Präsident Erdogan, seine AKP und ein Teil der ultranationalistischen MHP unterstützen das Referendum. Mit einem Präsidialsystem werde die Türkei sicherer, wirtschaftlich prosperierender und effizienter, lautet ihre Begründung.

Wer sind die Gegner und welches sind ihre Argumente? Die grösste Oppositionspartei, die kemalistische CHP, die pro-kurdische HDP sowie Teile der Ultranationalisten sind gegen die Verfassungsänderung, da sie eine Ein-Mann-Herrschaft fürchten, in der es keine Korrektiv mehr gebe.

Warum ist die Abstimmung so umstritten? Seit dem gescheiterten Putsch im Juli 2016 herrscht in der Türkei der Ausnahmezustand. Bereits vorher hatte Präsident Erdogan das Land mit harter Hand geführt, doch der Ausnahmezustand ermöglicht es ihm, mit Notstandsdekreten zu regieren. Über 130'000 Personen wurden seither entlassen oder festgenommen, darunter auch gewählte Parlamentarier und Bürgermeister, vornehmlich der pro-kurdischen HDP. Per Dekret wurden zudem über 100 mehrheitlich kritische Medien geschlossen. In keinem Land der Welt sitzen mehr Journalisten im Gefängnis.

Gab es einen einigermassen fairen Abstimmungskampf? Der Abstimmungskampf war alles andere als ausgeglichen. Regierungsmitglieder haben Gegner der Vorlage als Landesverräter und Terroristen verunglimpft, die Nein-Kampagne wurde behindert, deren Aktivisten angegriffen und bedroht. In den gleichgeschalteten Medien erhielten die Gegner viel weniger Sendezeit, um ihre Standpunkte zu präsentieren als das Ja-Lager. Die OSZE hat diese Umstände in ihrem Zwischenbericht über das Referendum kritisiert.

Welcher Ausgang wird am Sonntag erwartet? Umfrageinstitute prognostizieren ein äusserst knappes Resultat. Das Resultat wird im Laufe des Abends erwartet.

Wie geht es weiter, wenn der Verfassungsänderung zugestimmt wird? Die Änderungen werden bis 2019 umgesetzt. Am 3. November 2019 soll erstmals unter den neuen Regeln gewählt werden.

Was geschieht, wenn die Vorlage abgelehnt wird? Bereits vor der Abstimmung hat ein Sprecher von Präsident Erdogan bekannt geben, dass ein Nein an der Urne nicht heisse, dass das Präsidialsystem vom Tisch sei. Beobachter gehen davon aus, dass Präsident Erdogan Neuwahlen erzwingen wird in der Hoffnung, die pro-kurdische HDP zu verdrängen und eine Zweidrittelmehrheit zu erreichen. Damit könnte er die Verfassungsänderung im Parlament absegnen lassen.

Diese Änderungen sieht Erdogans neue Verfassung vor

MachtkonzentrationPräsident Erdogan soll mit der Reform Regierungschef und Staatsoberhaupt in Personalunion werden. Er darf auch Parteichef sein, was heute ausgeschlossen ist.
Gewichtige Dekrete Der Präsident kann Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen. Eine Zustimmung des Parlaments ist nicht mehr nötig. Diese Dekrete werden aufgehoben, wenn das Parlament ein Gesetz zum jeweiligen Thema verabschiedet.
GewaltentrennungDer Präsident bekommt noch mehr Einfluss auf die Justiz. Künftig könnte er im Rat der Richter und Staatsanwälte, der u.a. für die Ernennung der Richter und Staatsanwälte zuständig ist, vier der 13 Mitglieder direkt bestimmen. Feste Mitglieder sind der Justizminister und sein Staatssekretär, die ebenfalls vom Präsidenten ernannt werden.
Kabinett
Der Präsident kann eine beliebige Anzahl von Vizepräsidenten sowie Minister ernennen (und absetzen). Das Parlament hat keine Mitsprache mehr bei diesem Prozess.
AmtszeitDie Amtszeit des Präsidenten ist auf zweimal 5 Jahre begrenzt. Die Berechnung der Amtszeiten würde mit der Einführung des Präsidialsystems neu beginnen. Durch eine «Hintertür» könnte diese Beschränkung aber weiter ausgebaut werden und Präsident Erdogan, einen Wahlerfolg vorausgesetzt, könnte theoretisch bis 2034 an der Macht bleiben.
NeuwahlenDie Zahl der Parlamentarier wird von 550 auf 600 aufgestockt. Sowohl der Präsident als auch das Parlament können Neuwahlen ausrufen. Im Parlament ist dafür eine 3/5-Mehrheit notwendig. Bei Neuwahlen wird sowohl der Präsident als auch das Parlament neu gewählt.
WahlzeitpunktPräsident und Parlament werden künftig am gleichen Tag gewählt und zwar für eine Dauer von fünf Jahren. Erstmals soll eine solche Super-Wahl am 3. November 2019 abgehalten werden.
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