Der Front National ist salonfähig geworden. Und noch mehr als das: mehrheitsfähig. Bei den Kommunalwahlen von Ende März erreichte er in zwölf Städten die Mehrheit. Teilweise mit Spitzenergebnisse von mehr als 30 oder 40 Prozent. Dass der Front National dem rechtsextremen Milieu entstammt: Vergessen. Die antisemitischen Entgleisungen des langjährigen Präsidenten Jean-Marie Le Pen: Verjährt.
Seine Tochter, Parteipräsidentin Marine Le Pen, hat allen Grund, zufrieden zu sein. Die Verbalattacken gegen Ausländer und Muslime, das Gedankengut des Front National ist längst nicht mehr nur für rechtsnationale Randgruppen attraktiv. Man könnte gar sagen: Es ist zum Mainstream geworden.
Von ganz links nach ganz rechts
Sogar linke Wähler fühlen sich davon angesprochen. Viele Arbeitende fühlen sich von den Sozialisten im Stich gelassen, wie der Politologe Laurent Bouvet von der Universität Versailles St. Quentin erklärt. Er spricht gar von einer Entfremdung zwischen der Linken und der Arbeiterschaft. So hätten beispielsweise nur gerade 10 Prozent der Arbeitenden eine gute Meinung von Präsident François Hollande.
Die Linke hat die Arbeiterschaft verraten
Einer, der die Seite gewechselt hat, ist Fabien Engelmann. Er war lange Kommunist und Gewerkschafter, kandidierte dann aber als Mitglied des Front National fürs Bürgermeisteramt im Städtchen Hayange in Lothringen – und wurde prompt gewählt.
Seine «Verwandlung» begründet Engelmann folgendermassen: «Im Jahr 2001 trat ich in die kommunistisch-trotzkistische Partei Lutte Ouvrière ein. Ich war schon damals über die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland empört. Die französischen Patrons setzen ihre Arbeiter gnadenlos der Konkurrenz aus Billiglohnländern aus. Leider stoppte die Linke diese Entwicklung nicht. Unter dem sozialistischen Premierminister Lionel Jospin wurde stärker privatisiert als unter bürgerlichen Regierungen. Die Linke hat die Arbeiterschaft verraten. Das konnte ich nicht mehr aushalten.»
Neue Töne bei den Genossen
Die Kommunalwahlen im März wurden für die linke Regierung zur Stunde der Wahrheit. Nach der schmerzlichen Niederlage krempelte Präsident François Hollande seine Regierung um und schickte seinen Premier in die Wüste. Der neue Regierungschef Manuel Valls propagiert nicht nur den Wirtschaftsliberalismus, sondern markiert bewusst den Patrioten.
Die Liebe zu Frankreich, die Liebe zum Vaterland, sie war auch ein Leitmotiv in seiner Antrittsrede vor dem Parlament. Das sind neue Töne im Lager der Genossen, die bisher immer von der internationalen Solidarität der Arbeiterschaft schwärmten.
Doch so schnell wird sich die neue Tonalität nicht in Wählerstimmen bemerkbar machen. Eine Umfrage nach der andern kommt zum Schluss, der Front National werde bei den Europawahlen zur stärksten Partei Frankreichs. Auch von links dürften Marine Le Pens Patrioten weiter Zulauf erhalten.
(maiu)