Stell Dir vor, Jerusalem wäre eine Stadt, in der alle Menschen miteinander auskommen: Ultraorthodoxe und weltliche Juden, Palästinenser.
Die Realität sieht anders aus. In den letzten Jahren ist kaum ein Tag ohne gewalttätige Zusammenstösse vergangen. Ethnische, religiöse und ideologische Spannungen prägen das Leben in den 77 Quartieren von Jerusalem.
Ein Forscherteam analysiert nun mit einem Computermodell die Logik der Gewalt, wer involviert ist und wie sich die Auseinandersetzungen entwickeln könnten.
Soziale Distanz ist entscheidend
Grundlage der Simulationen sind empirische Daten der Jahre 2001 bis 2009 aus Polizeiberichten, Zeitungartikeln etc. Identifiziert wurden vier soziale Gruppierungen: gemässigte und weltliche Juden, ultraorthodoxe Juden, Palästinenser und israelische Sicherheitskräfte.
«Je grösser die soziale Distanz zwischen den Gruppen, umso eher bricht Gewalt zwischen ihnen aus», sagt Ravi Bhavnani, Politologie-Professor in Genf (siehe Box). Es zeigt sich: 2001 bis 2004 – während der zweiten Intifada – verteilte sich die Gewalt über die ganze Stadt, vor allem zwischen säkularen Juden und Palästinensern. Später konzentrierte sich die Gewalt auf den Osten der Stadt, zwischen ultraorthodoxen Juden sowie Polizei und Armee.
Um Gewalt einzudämmen, benutzt die politikwissenschaftliche Forschung zwei gegensätzliche Ansätze: eine stärkere Durchmischung von Gruppen soll die gegenseitige Toleranz fördern. Andererseits werden Gruppen räumlich getrennt, die soziale Distanz bleibt bestehen. «Wir berücksichtigen beide Ansätze», sagt Karsten Donnay, der das Modell programmiert hat.
Die Wissenschaftler haben vier Szenarien für den zukünftigen Status von Jerusalem errechnet. Status-Quo, Clinton-Friedensplan, Vorschlag der Palästinenser, Separation der jüdischen und arabischen Wohnviertel.
«Die Simulation zeigt, dass der Status Quo die schlechteste Alternative ist», sagt Bhavnani. Der Vorschlag der Palästinenser, zu den Grenzen von 1967 zurückzukehren, wäre am besten geeignet, die Gewalt abzuschwächen. Allerdings
müssten viele Bewohner in andere Stadtviertel umziehen. Der Forscher zeigt sich überrascht vom Resultat der Simulation: «Wir hätten nicht erwartet, dass eine Separierung die grössten Chancen auf ein friedlicheres Zusammenleben bietet.»
Es gebe aber nicht den einen, richtigen Weg zu mehr Frieden, betont Bhavnani: «Das ist die Stärke des Ansatzes. Damit können wir das Potenzial diverser Alternativen vergleichen.»
Politik wollen die Forscher nicht betreiben. Immerhin zeige die Simulation Möglichkeiten auf, die Gewalt zu reduzieren, sagt Soziologieprofessor Dirk Helbing: «Modelle wie dieses könnten dereinst helfen, schwierige politische Entscheide auf einer besseren Informationsbasis zu treffen.»