Anis Modamani war im September 2015 der berühmteste Flüchtling der Welt. Er machte ein Selfie mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das Bild ging um die Welt. Die Folgen waren für beide, Merkel und Modamani, gravierend. Der Kanzlerin wurde vorgeworfen, sie lade die Flüchtlinge geradezu ein. Sie geriet in die Defensive.
Modamani wird bis heute im Netz als Terrorist diffamiert. Er sei ein Attentäter der Anschläge in Brüssel und auf den Berliner Weihnachtsmarkt, er gehöre zu einer Gruppe Flüchtlinge, die in Berlin einen Obdachlosen angezündet hat. Alles Lüge, sagt Modamani: «Wenn ich Facebook öffne, sehe ich Fotos von mir als Terrorist.»
Bedrohung auch im Alltag
Facebook hat zwar diese gefälschten Bilder von Modamani gelöscht, aber das Landgericht Würzburg hat vor zwei Wochen entscheiden, das Facebook nicht von sich aus neue Bilder dieser Art suchen und löschen muss. Angst hat Modamani inzwischen nicht nur in der virtuellen, sondern auch in der realen Welt: «Das macht mir Angst. Zur Sicherheit gehe ich jetzt immer mit einem Freund auf die Strasse.»
Folgen hatte das Selfie auch für Anke Möwe, die Modamani in ihrer Familie aufgenommen hat. An einer Veranstaltung mit dem sozialdemokratischen Justizminister Heiko Maas wandte sich die Mutter einer sechsjährigen Tochter direkt an ihn, um die dramatischen Konsequenzen ihrer Hilfsbereitschaft zu schildern: «Meine Familie wird aktiv bedroht, auch ausserhalb von Facebook. Was anfing mit ‹du linksgrün versiffte Schlampe› oder mit Morddrohungen, wird in der Realität umgesetzt. Ganz ehrlich: Ich habe Angst und werde nicht beschützt.»
Möwe erzählt vom alltäglichen Psychoterror: «Ich bekomme Anrufe an meiner Arbeitsstelle: ‹Wir wissen, wo du wohnst›, oder ich bekomme eine Pizza geliefert, die ich nicht bestellt habe. Das ist nichts anderes, als mir zu sagen, ‹Fräulein, wir wissen wo du wohnst›. Das macht einem schon Angst, besonders als Mutter.»
Gerichte sind überfordert
Maas hat nur beschränkt Handhabe dagegen. Die Pizzalieferung ist nicht strafbar. Doch die Urteile gegen sogenannte Hasskriminalität würden härter, sagt er: «Es ist nicht mehr so, dass man das einfach folgenlos tun kann. Vor einiger Zeit ist ein Mann wegen fortgesetzter Volksverhetzung auf Facebook zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden – und zwar ohne Bewährung.»
Derzeit sind die Staatsanwaltschaften und Gerichte aber hoffnungslos überfordert. Hasskriminalität ist im Netz im vergangenen Jahr um 160 Prozent gestiegen. Und in dieser Zahl sind nur die Fälle berücksichtigt, die registriert und von einem Gericht bestraft wurden. Der tatsächliche Anstieg dürfte also weit höher liegen.
Letzte Woche hat der Justizminister ein neues Gesetz vorgestellt, das soziale Medien mit einer Busse von bis 50 Millionen Euro belegen will, wenn offensichtlich strafbare Inhalte nicht binnen 24 Stunden vom Netz genommen werden.
Youtube liefert den Beweis
Bei schwieriger zu beurteilende Fällen sollen die Beiträge innerhalb einer Woche entfernt werden. Ansonsten kann in einem Vorabentscheid in wenigen Wochen per Gericht eine Busse verhängt werden. Das scheint nötig zu sein, denn eine unabhängige Studie im Auftrag des Justizministers hat ergeben, dass Facebook nach 24 Stunden nur 39 Prozent aller glasklar strafbaren Posts löschte, nachdem sie von Usern beanstandeten wurden. Bei Twitter waren es sogar nur ein Prozent.
Bei Youtube lag die Löschquote aber bei 93 Prozent. Das zeigt für Maas einerseits, dass Facebook und Twitter ihre Sorgfaltspflicht nicht wahrnehmen wollen, und dass andererseits die Ausrede, es gehe nicht, von Youtube widerlegt wird. Ob das Gesetz durch den Bundestag kommt, ist eine andere Frage. Ein Hauptproblem liegt ohnehin darin, dass sich Diffamierungen vor allem in den ersten 48 Stunden verbreiten.
Auftrag des Bildungsministeriums: Verein verbreitet Basiswissen
Andre Wolf ist Blogger beim österreichischen Verein Mimikama zur Aufklärung von Internetkriminalität. Er geht Meldungen von Fälschungen nach. Auch der geflüchtete Anis Modamani hatte sich an Mimikama gewendet. Wolf setzt auf Ausbildung, sei es mit kleinen Videos oder in Workshops: «Wir sind in Österreich vom Bildungsministerium angesprochen worden und werden im ersten Halbjahr Impulsvideos erstellen.» |
Diese seien niederschwellig und unpolitisch, aber bei technischen Themen werde damit eine gewisse Wissensbasis gelegt. Dies sei deshalb wichtig, weil auch diejenigen, die Beiträge weiterverbreiten und teilen, eine Verantwortung tragen. Und mit Grundkenntnissen liessen sich bereits zahlreiche Falschmeldungen im Netz entlarven, ist Wolf überzeugt. |