Nach einer Woche friedlicher Proteste für Demokratie in Hongkong drohen die Studentendemonstrationen in Gewalt umzuschlagen. Am Abend lief ein Ultimatum der Studenten an den Regierungschef ab, die den sofortigen Rücktritt von Leung Chun-ying fordern – was dieser aber entschieden ablehnte. Kurz vor Fristende um Mitternacht Ortszeit sagte Leung: «Ich werde nicht zurücktreten.»
Die Studentenvereinigung hat mit einer Besetzung wichtiger Regierungsgebäude in Chinas Sonderverwaltungsregion gedroht, «um die Verwaltung lahmzulegen», falls der Regierungschef nicht freiwillig abtritt. Die Polizei warnte sie vor «ernsten Konsequenzen» und will durchgreifen, falls Aktivisten amtliche Stellen stürmen, besetzten oder umzingeln sollten.
Die Protestierenden wollten das Feld nicht räumen, solange ihrem Wunsch nach freien Wahlen nicht stattgegeben werde, sagt SRF-Korrespondentin Barbara Lüthi. Doch mit der Protestbewegung könnte sich Peking ins eigene Fleisch schneiden. Peking habe angefangen, das Erfolgsmodell Hongkong mit Korruption und Freiheitsbeschränkungen zu ruinieren, so Lüthi. Wenn dieses Modell untergraben würde, könnte sich dies negativ auf die Wirtschaft Pekings auswirken.
Polizei rüstet sich gegen Ausschreitungen
Es ist die grösste politische Krise in Hongkong seit der Rückgabe der früheren britischen Kronkolonie 1997 an China. Die Proteste hatten sich an Beschlüssen des Pekinger Volkskongresses entzündet, 2017 zwar erstmals eine direkte Wahl in Hongkong zu erlauben, den Wählern aber trotzdem eine freie Nominierung der Kandidaten zu verweigern.
Angefacht werden die Demonstrationen auch durch die Sorge über die Kontrolle durch die repressive Pekinger Führung sowie den Unmut über die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in Hongkong und steigende ImmobilienpreiseAm Abend bereitete sich die Polizei mit Tränengas, Gummigeschossen und spezieller Ausrüstung gegen Unruhen auf eine mögliche Eskalation vor. Der Regierungschef wies seine Verwaltungschefin Carrie Lam, die Nummer Zwei in Hongkong, an, mit den Studenten in einen Dialog zu treten. «Ich hoffe das Treffen kann die Probleme lösen», sagte er. Die Verwaltungschefin selbst sagte, «so schnell wie möglich» mit den Studenten reden zu wollen.
Chinas Führung zufrieden mit Leung
Mehr als Tausend Demonstranten hatten sich um Mitternacht direkt vor dem Regierungssitz versammelt. Hunderte Polizisten schützten das Gebäude. «Wir haben gesehen, wie die Polizei Tränengas und besondere Schutzausrüstung herangeschafft hat», sagte der 17-jährige Vorsitzende der Oberschülervereinigung, Joshua Wong. «Wir wissen nicht, wann sie wieder Gewalt gegen uns einsetzen werden.»
Der Regierungssitz liegt direkt neben Baracken der chinesischen Volksbefreiungsarmee in Hongkong und ist nur fünf Minuten zu Fuss vom Hauptschauplatz der Proteste bei Admiralty entfernt. Zehntausende Hongkonger hatten die bisher friedlichen Proteste den siebten Tag in Folge fortgesetzt.
Seit der Rückgabe 1997 an China wird Hongkong nach dem Grundsatz «ein Land, zwei Systeme» als eigenes Territorium autonom regiert. Auch geniesst die asiatische Wirtschaftsmetropole Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit.
Chinas Führung stellte sich voll hinter den kritisierten Hongkonger Regierungschef. Die Zentralregierung sei «höchst zufrieden» mit seiner Arbeit, hiess es in einem Kommentar des kommunistischen Parteiorgans «Volkszeitung» (Renmin Ribao). Auch unterstütze Peking seinen Umgang mit den «illegalen politischen Aktivitäten». Es gehe um die langfristige Stabilität Hongkongs, seinen Wohlstand, Interessen der Investoren und die Wahrung der nationalen Sicherheit Chinas.
EU fordert faires Wahlsystem
Die EU forderte alle Parteien auf, Kompromissbereitschaft zu zeigen und nach einer Lösung zu suchen, die im Einklang mit der Verfassung und dem Prinzip «Ein Land - Zwei Systeme» stehe. Ziel sollte ein faires Wahlsystem sein, das einen hohen Grad an Mitbestimmung ermöglicht, liess die EU-Aussenbeauftragte Catherine Ashton mitteilen. Mit Blick auf die Demonstrationen rief die EU-Kommission dazu auf, nicht zu Gewalt zu greifen.
Das bisherige Krisenmanagement des Regierungschefs sah der deutsche China-Experte Sebastian Heilmann hingegen kritisch. «Er hat schlicht zu wenig Erfahrung und Geschick in der Direktkommunikation mit Kritikern und Opposition», meinte der Direktor des China-Instituts Merics in Berlin.