Umstrittener Volksentscheid in Kürze:
- Die Militärregierung in Thailand setzt sich mit ihrem Verfassungsentwurf durch. 62 Prozent der Wähler stimmen «Ja».
- Der Verfassungsentwurf ist umstritten. Damit werde der Weg zurück zur Demokratie geebnet, meinen die Generäle. Kritiker halten dagegen, das Militär zementiere seine Macht, weil es mit dieser Verfassung die 250 Mitglieder der zweiten Parlamentskammer selbst ernennen kann.
- Die Militärregierung hatte Debatten und Kritik am Entwurf im Vorfeld verboten und Dutzende Menschen festgenommen, die ein «Nein» propagierten.
In einem winzigen Wahllokal im Stadtzentrum von Bangkok herrscht sommerliche Trägheit.
Ein Taxifahrer lässt bei offener Tür Militärmusik laufen und die wenigen Wähler, die hier unter einer Plasticplane ihre Stimmen abgeben, folgen der Aufforderung der Militärjunta. Sie haben für den neuen Verfassungsentwurf gestimmt - auch die 40-jährige Chayapa, die eben auf dem Weg in den Polo Club ist: «Diese Verfassung wird unser Land vorwärts bringen. Ich bin froh, wenn die Armee stark ist.»
In den vergangenen Jahren wurden politische Duelle oft blutig in den Strassen ausgetragen, deshalb will auch Chate, ein 34-jähriger Geschäftsmann nur eines: Ruhe und Ordnung. Diese Verfassung und die Armee garantierten das, glaubt er: «Ich weiss, dass die Armee mit dieser Verfassung mehr Macht gewinnen wird, aber das stört mich nicht. Seit dem Putsch hat sie im Land aufgeräumt, auch hier in der Stadt. Sie hat Schluss gemacht mit Korruption und all den illegalen Strassenständen auf unseren Trottoirs.»
Leben schlechter geworden
Strassenhändler wie die Blumenverkäuferin Somrak sind davon betroffen. Somrak ist aus dem Land in die Stadt gekommen und verkauft in einem anderen Stadtteil an einem winzigen Tischchen Blumenketten aus Jasmin. Seit dem Militärputsch vor zwei Jahren, sei ihr Leben und damit auch jenes ihrer Familie deutschlich schlechter geworden: «Vor dem Militärputsch verdiente ich das Doppelte und konnte hier sitzen so lange ich wollte. Doch nun ist das nicht mehr erlaubt und ich muss immer aufpassen. Zudem wollen die Leute weniger Geld ausgeben, doch ich muss mehr für die Blumen bezahlen. Ich verstehe nichts von Politik und habe keine Ahnung von dieser Verfassung, aber früher war das Leben besser.»
Viele Arbeitsmigranten vom Land wie Somrak gehören zu den Kritikern der Militärjunta und zur grossen Anhängerschaft des extrem beliebten ehemaligen Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra. Er hatte durch populistische Regierungsprogramme die Gunst der Armen und damit auch alle Wahlen gewonnen. 2006 wurde er von der Armee aus dem Amt geputscht und lebt seither im selbstauferlegten Exil.
«Ich konnte gar nicht abstimmen»
Kritiker glauben, dass die neue Verfassung sich direkt gegen Politiker wie Shinawatra richtet. Denn mit der neuen Verfassung wird es einfacher sein, unliebsame Politiker abzusetzen und die grossen Parteien zu schwächen. Shinawatra rief deshalb aus dem Exil seine Anhänger dazu auf, die Verfassung abzulehnen.
Natürlich hätte er «Nein» gestimmt, sagt Tuktuk-Fahrer Nakhon Sawan, der aus einer weitentfernten Provinz kommt, aber: «Ich konnte heute gar nicht stimmen, weil ich viel zu spät erfuhr, wo ich mich registrieren muss. Das hat die Militärjunta sicher absichtlich gemacht!»
Kein gangbarer Weg in die Zukunft
So wie dem Tuck-Tuck-Fahrer ging es Millionen von Arbeitsmigranten. Mit einem demokratischen und fairen Prozess habe dieses Referendum und auch die Verfassung nichts zu tun, kritisiert deshalb auch Abhisit Vejjajiva, der ehemalige Ministerpräsident des Landes und Anführer der Demokratischen Partei, der wichtigsten Oppositionspartei.
Er hat heute die Verfassung abgelehnt, weil er an die Zukunft denke: «Diese Verfassung wird unser Land nicht voranbringen. Die ganze Welt anerkennt, dass Demokratie nur funktionieren kann, wenn alle Bürger etwas zu sagen haben, aber diese Verfassung erlaubt das nicht. Mit ihr werden die Bedürfnisse von Millionen von Thailändern, nach mehr Wohlstand und mehr Mitspracherecht, nicht anerkannt und die Probleme der Vergangenheit werden nicht gelöst.»
Schwächung der Zivilgesellschaft
Die Militärjunta hat zwar ihren Verfassungsentwurf als Kampfansage gegen Korruption angepriesen, aber genau das sei er nicht, kritisiert Oppositionspolitiker Abhisit: «Um Korruption zu bekämpfen, brauchen wir eine starke Zivilgemeinschaft, aber diese wird durch diese Verfassung geschwächt, genauso wie die Rechte für gewöhnliche Leute.»
Deutlich wurde das bereits im Vorfeld der Wahlen: Die Militärjunta verbot kritische Diskussionen zur Verfassung, zudem sind Versammlungen von mehr als fünf Personen nicht erlaubt. Demonstrationen waren unmöglich. Kritiker wurden verhaftet.
Militärregime auf immer und ewig?
Das politische Klima werde mit der neuen Verfassung nicht besser. Im Gegenteil, glaubt der Südostasien-Wissenschaftler David Streckfuss, der Thailand schon seit Jahren kritisch beobachtet: «Die Militärjunta verpasst sich mit dieser Verfassung einen legalen Anstrich. All die Gesetze, die sie in den letzten zwei Jahren verabschiedet hat und die beispielsweise die Meinungsäusserungsfreiheit massiv beschneiden, bleiben in Kraft, selbst wenn im kommenden Jahr eine Regierung gewählt wird.»
Thailand bekommt also nicht nur eine Verfassung, sondern eine Militärregierung für immer und ewig. Obwohl: Nach 19 Verfassungen in der Geschichte des Landes, ist auch diese nicht in Stein gemeisselt.