Die Anti-Doping-Systeme in Kenia und Russland funktionieren so gut wie nicht. Das hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) festgestellt – und zieht Konsequenzen. Sportler aus diesen beiden Ländern, die an den Olympischen Spielen in Rio starten wollen, müssen sich internationalen Dopingtests unterziehen. Den definitiven Entscheid für jeden einzelnen Sportler fällen die internationalen Fachverbände der jeweiligen Sportarten.
Ernsthafte Vorwürfe gegen Russland
Es gebe ernsthafte Vorwürfe gegen Russlands Anti-Doping-System, sagte IOC-Präsident Thomas Bach in Lausanne nach einem Treffen von Sportfunktionären. Auch das System in Kenia funktioniere nicht so, wie es internationale Vorschriften verlangen.
Bach stellte sich explizit hinter den Entscheid des Weltleichtathletikverbands (IAAF). Dieser hatte am vergangenen Freitag sämtliche russische Leichtathleten für Rio gesperrt. Dem IAAF steht es aber frei, einzelne russische Athleten doch noch zuzulassen, wenn diese beweisen können, dass sie sauber sind.
SRF-Dopingexpertin: «Tests im Training wären wichtiger gewesen»
«Die Stossrichtung des IOC ist grundsätzlich gut», sagt SRF-Dopingexpertin Susy Schär. «Die Frage aber ist, wie die betroffenen Athleten jetzt noch beweisen sollen, dass sie nicht gedopt haben.» Die russischen Sportler etwa seien zum Teil jahrelang in ihrer Heimat mit einem dopingbelasteten System konfrontiert gewesen. «Jetzt zu testen sagt deswegen nicht viel aus. Zudem wurden von Februar bis Mai in Russland aktiv 739 Dopingkontrollen verhindert. Kein Zeugnis der Glaubwürdigkeit.»
IOC-Chef Bach gestand ein, dass das internationale Anti-Dopingsystem Defizite habe. Deswegen schlägt das IOC eine Reihe von Massnahmen vor. Unter anderem sollen nicht nur Athleten, sondern auch Ärzte, Trainer und Sportmanager mit einer Doping-Geschichte von den Spielen ausgeschlossen werden. Im kommenden Jahr soll zudem ein internationaler Anti-Doping-Gipfel stattfinden.
Russland sieht Vorwürfe als politisch motiviert
Bei den Vorwürfen gegen Russland geht es um mutmasslich staatlich organisiertes Doping in der Leichtathletik. Zudem sollen bei den Olympischen Spielen in Sotschi positive Urin-Proben von russischen Sportlern ausgetauscht worden sein. Auch hier hatte nach Angaben des Ex-Chefs der russischen Anti-Dopingagentur der Staat die Finger im Spiel: Mitarbeiter des Sportministeriums sowie Agenten des Geheimdienstes FSB hätten beim Betrug mitgewirkt.
Die Reaktionen aus Russland auf den wachsenden Druck sind zuletzt trotzig ausgefallen. Während der IOC-Pressekonferenz wurde bekannt, dass Russlands Leichtathleten gegen die Sperre bei den Olympischen Spielen juristisch vorgehen wollen. Es sei ein Einspruch gegen die IAAF-Entscheidung eingereicht worden, erklärte der Chef des russischen Olympia-Komitees.Der russische Sportminister Witali Mutko hat die Vorwürfe gegen Russland als politisch motiviert bezeichnet. «Wenn der Staat beschuldigt wird, dann geht es immer um Politik. Die Athleten sind Geiseln geworden dieser politischen Spiele – und des Drucks, der auf unser Land ausgeübt wird.»
Funktionäre als «Scheisskerle» beschimpft
Noch heftiger äusserte sich die russische Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa. Sie hat die Verantwortlichen des Weltleichtathletikverbandes (IAAF) als «Scheisskerle» bezeichnet. «Ich habe keinen Respekt vor diesen Leuten, sie sind echte Scheisskerle», sagte sie. Die Sportlerin lehnt es auch ab, in Rio im Rahmen einer Ausnahme-Regelung unter einer anderen Flagge als der russischen zu starten. «Ich bin Russin, ich habe ein Land, ich habe eine Flagge.»
1. Julia Stepanowa im Interview
Die russische Leichtathletin Julia Stepanowa und ihr Mann Witali, ein ehemaliger Mitarbeiter der russischen Anti-Doping-Agentur RUSADA, haben den Skandal um das systematische Doping in Russlands Leichtathletik ins Rollen gebracht.2014 berichteten sie in der ARD-Dokumentation «Geheimsache Doping» erstmals über das Doping in Russland. Stepanowa, eine Mittelstreckenläuferin, die 2013 selbst des Dopings überführt wurde, konnte mit heimlichen Videoaufnahmen belegen, wie sie Dopingsubstanzen von ihrem Trainer bekam.
Stepanowa begrüsst den heutigen Entscheid des IOC. Sie betrachte dies als Strafmassnahme für das System, nicht für einzelne Athleten, sagte sie in einem Interview via Skype mit der «Tagesschau»:
«Leider existiert das Dopingsystem in Russland immer noch», sagte sie. «Anstatt die Dinge in Ordnung zu bringen, wird weiterhin vertuscht.» Stepanowa begrüsste auch den Entscheid, saubere Athleten möglicherweise doch noch in Rio antreten zu lassen. «Ich weiss nicht, wer diese sauberen Athleten sind und wie das entschieden werden soll», sagte sie. «Grundsätzlich aber ist es gut, dass saubere Athleten an den Olympischen Spielen teilnehmen können.»