Margaret Thatcher, George Bush senior, Boris Jelzin oder Bill Clinton. In seinem Bungalow in Ludwigshafen-Oggersheim empfing Helmut Kohl einst die Grossen und Mächtigen der Welt. Nun richteten sich also noch einmal die Scheinwerfer der deutschen Öffentlichkeit auf den Bungalow: Mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban stattete ausgerechnet einer der schärfsten Kritiker von Bundeskanzlerin Merkel ihrem Vorgänger einen Besuch ab.
Weshalb empfängt gerade ein so grosser Europäer wie Kohl einen Politiker, der auf Abschottung setzt? Politiker von SPD und Grünen forderten Kohl dazu auf, mässigend auf Orban einzuwirken. FDP-Chef Lindner fand es problematisch, dass dem ungarischen Ministerpräsidenten eine solche Plattform geboten werde.
Über den Inhalt der Gespräche war nicht viel zu erfahren. Orban liess verlauten, dass er sich bei Kohl dafür bedanken wolle, was er für Ungarn getan habe. Und er würdigte den Altkanzler als Symbol für die deutsch-ungarische Freundschaft.
Ein Schüler Kohls
In der Tat haben die beiden eine gemeinsame Geschichte. «Kohl denkt in historischen Dimensionen», erklärt SRF-Deutschlandkorrespondent Peter Voegeli. Und als ein solcher Mensch vergesse er es nicht, dass Orban 1989 als 26-Jähriger den Abzug der sowjetischen Truppen aus Ungarn gefordert habe.
Orban selbst bezeichnete sich einst als Schüler Kohls und traf sich kurz nach seiner ersten Wahl zum Regierungschef 1998 mit dem damaligen Kanzler, um sich politischen Rat zu holen.
Im Jahr 2000, als es wegen der CDU-Spendenaffäre zum grossen Zerwürfnis zwischen Kohl und seiner Partei kam, hielt Orban weiter zu ihm: Er verlieh dem Altkanzler die Millenniums-Medaille für Staatsmänner, die Ungarn den Weg nach Europa geebnet haben. Kohl revanchierte sich zwei Jahre später und appellierte an die Ungarn, Orban zu wählen. Damals noch ohne Erfolg.
Retourkutsche an Merkel?
«Es gibt enge persönliche Beziehungen zwischen Kohl und Orban», sagt denn auch Peter Voegeli. War der Besuch unter Freunden vielleicht auch eine Retourkutsche an Angela Merkel, welche die CDU nach der Spendenaffäre aufgefordert hatte, sich von Kohl zu lösen? Voegeli glaubt dies nicht. Kohl mache sich viel eher generell Sorgen um Europa. So kritisiere er im Vorwort der ungarischen Ausgabe seines Buches «In Sorge um Europa» die vermehrten nationalen Alleingänge. Dies könne eine Kritik an Merkel, aber auch an Orban sein, so Voegeli.
Deutschland regt sich jeden Tag einmal auf – heute wegen dieses Treffens.
Das Treffen habe ohnehin keinen grossen Einfluss auf Merkel. «Deutschland regt sich jeden Tag einmal auf – heute wegen dieses Treffens», erklärt Voegeli. Dieses habe aber keine grosse Nachhaltigkeit. Kohl habe keinen nachhaltigen Einfluss mehr in der CDU und der deutschen Tagespolitik.
Die Kanzlerin selbst bezeichnete den Orban-Besuch schliesslich als sinnvoll und nützlich. Viele dort diskutierte Akzente entsprächen genau dem, was sie für «absolut unerlässlich und wichtig» halte.
Im Vergleich zur Erregung im Vorfeld war das Echo auf das achtzigminütige Treffen bis dato also eher gering. Immerhin: Kohls Bungalow in Oggersheim stand noch einmal im Fokus der Öffentlichkeit.