Mit einem einzigen Befehl kann ein amerikanischer Präsident die Apokalypse auslösen. Einen Atomangriff mit tausenden von Sprengköpfen, die 20'000 mal so zerstörerisch sind wie seinerzeit die Bombe auf Hiroshima.
Entsprechend irritierend, ja beängstigend ist es, was US-Präsidentschaftsanwärter Donald Trump zum Thema Atombombe sagt. «Ich werde nie etwas ausschliessen», meinte er zum Beispiel und: «Ich werde keine Karte vom Tisch nehmen.» Ähnliches haben allerdings auch schon frühere Präsidenten und Anwärter auf das Amt gesagt.
Ich will, dass sie denken, dass wir sie einsetzen würden.
Wesentlich weiter geht Trump mit der rhetorischen Frage an einen Interviewer: «Wenn jemand beim IS beschliesst, uns massiv anzugreifen – würden Sie dann darauf verzichten, mit Atombomben dagegenzuhalten?» Eine radikale Abkehr von der bisherigen amerikanischen Doktrin, die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern, signalisiert der Milliardär mit der Bemerkung, Japan und Südkorea müssten sich ohne US-Hilfe verteidigen können, warum nicht auch mit Atomwaffen. Und ergänzt: «Es passiert ja sowieso.»
In einem privaten Gespräch mit einem Experten für Sicherheitspolitik soll Trump sogar dreimal gesagt haben, warum die USA überhaupt Atomwaffen besässen, wenn sie sie doch nie benutzten. Diese Aussage ist nicht verbürgt, wird aber von einem Journalisten des Senders «NBC» zitiert.
Wir können einem Mann, der sich von einem Tweet provozieren lässt, nicht unsere Atomwaffen anvertrauen.
Trumps Gegenkandidatin Hillary Clinton hat ebenso scharf reagiert wie US-Präsident Barack Obama. Auch mehr und mehr Republikaner sind wegen Trumps Nuklearphantasien besorgt.
Problematisch ist: Erstens versteht Trump so gut wie nichts von Atomwaffen und nuklearen Strategien. Zweitens stellt für ihn die Atombombe offenkundig einfach eine potentere Waffe dar als die übrigen Waffen, aber nicht etwas nicht bloss quantitativ, sondern qualitativ völlig anderes.
Das heisst für ihn: Grundsätzlich kann man Atomwaffen durchaus einsetzen. Und drittens redet Trump andauernd über ein Thema, über das ein US-Präsident besser schweigt. Denn es schwächt das Prinzip und die Idee der Abschreckung, wenn der Herr über 7000 Atomsprengköpfe dauernd öffentlich erläutert, was er im Fall der Fälle tun oder nicht tun würde.
Die entscheidende Frage aber ist: Könnte ein Präsident Donald Trump tatsächlich im Alleingang einen Atomschlag auslösen?
Die kurze Antwort lautet: Ja. Da sind sich praktisch alle Experten einig. Das für die USA typische System der «Checks and Balances», der Gewaltenteilung, ist hier ausser Kraft gesetzt. Weder das Parlament noch die Justiz haben bei Atomschlägen mitzureden.
Die lange Antwort ist komplizierter. Der Auslösemechanismus für eine US-Atombombe besteht nicht, wie viele glauben, aus einem «roten Knopf», den der Präsident drückt, worauf sogleich von einem Flugzeug, einem U-Boot oder einer Raketenabschussstation eine Atombombe abgeschossen wird.
Stattdessen gibt es einen rund zwanzig Kilo schweren Atomkoffer, der sich immer in unmittelbarer Nähe des Präsidenten befindet. Dieser sogenannte «Fussball» enthält Angaben über potenzielle Angriffsziele und die Anleitung für einen Atomschlag sowie ein abhörsicheres Kommunikationssystem.
Das zweite Element ist eine Plastikkarte, «Biskuit» genannt. Darauf steht der Autorisierungskode für den Präsidenten. Er trägt diese Karte ständig bei sich.
Kein «roter Knopf» und auch kein Veto
Der Präsident löst also den Atomschlag nicht unmittelbar aus. Er gibt den Befehl dazu an den Generalstab – nach Beratung mit dem Verteidigungsminister. Der Generalstab wiederum leitet die präsidiale Order weiter an die Einsatzkräfte.
Niemand auf all diesen Stufen hat ein Vetorecht. Der Befehl des Präsidenten muss ausgeführt werden. William Perry, Pentagon-Chef unter Präsident Bill Clinton, spricht deshalb in seinen Memoiren von einem «Schicksalsmoment für den ganzen Planeten».
Das Prozedere basiert darauf, dass an der Spitze der USA stets ein vernünftig denkender Präsident steht, der rational handelt, nüchtern und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist. Bei Trump haben da so manche ihre Zweifel.
Trotz der an sich klaren Befehlsordnung gibt es Möglichkeiten, einen Atomschlag zu verhindern oder zumindest zu verzögern. So könnte zum Beispiel der Generalstab oder der Verteidigungsminister eingreifen. Allerdings würden sie – wegen Meuterei – ihre Karriere riskieren und möglicherweise gar eine Verfassungskrise auslösen. Aber denkbar ist, dass sie ihre Pflicht als Staatsbürger höher gewichten als ihren Auftrag, dem Oberbefehlshaber der USA zu gehorchen.
Nixon bevormundet
Zumindest von einem Verteidigungsminister weiss man, dass er eingegriffen hat: James Schlesinger. Als Präsident Richard Nixon gegen Ende seiner Amtszeit immer mehr trank und mit Atomangriffen in Vietnam liebäugelte, signalisierte Schlesinger seinen Untergebenen, dass er das verhindern würde.
Atomexperte Eric Schlosser, der ein viel beachtetes Buch über die Gefahren des US-Atomarsenals geschrieben hat, meint, Schlesinger habe verfassungswidrig, aber richtig gehandelt.
Wenn ein Präsident Trump einen nuklearen Erstschlag, etwa gegen den sogenannten Islamischen Staat auslösen wollte, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass jemand in der Befehlskette das verhindern würde.
Weitaus schwieriger wäre es, wenn tatsächlich ein anderer Staat atombestückte Raketen auf die USA abfeuert und diese mit einem Vergeltungsschlag reagieren würden. Dann ist die Zeit extrem knapp. Eine Rakete von Russland auf das US-Festland braucht weniger als dreissig Minuten, eine von einem U-Boot im Atlantik oder Pazifik abgefeuerte sogar nur zehn bis fünfzehn Minuten.
Es dürften mehrere Minuten verstreichen, um herauszufinden, wer die Raketen abgefeuert hat, damit der Gegenschlag nicht irrtümlich das falsche Land trifft. Die Beratung mit dem Verteidigungsminister beansprucht weitere Minuten. Für die präsidiale Entscheidung und das Abschiessen selber verbleibt also extrem wenig Zeit – und ebenso wenig, um die Befehlskette zu kappen.