Präsident Emmanuel Macron zeichnete 2017 an der Universität Sorbonne das Bild einer EU, die geeinter ist, souverän und demokratischer. Eine Union, in die sich die Bürgerinnen und Bürger stärker einbringen können. Davon sei wenig konkret geworden, sagt der Wissenschaftler Frank Baasner, Experte für deutsch-französische Beziehungen.
SRF News: Was ist von Macrons Sorbonne-Rede geblieben?
Frank Baasner: Wenn man so weit in die Zukunft blickt und so ambitioniert Ziele steckt, kann man nicht nach relativ kurzer Zeit schon viele Erfolge erwarten. Man muss aber klar unterstreichen: Die Enttäuschung in Frankreich und bei vielen anderen Europäern sitzt tief, da relativ wenig Konkretes daraus geworden ist. Auch hat man das Gefühl, dass sich gerade Deutschland gar nicht so richtig auf Diskussionen über die ambitionierten Ziele einlassen will.
Die Rede Macrons fand kurz nach den Bundestagswahlen statt. War das Timing schlecht?
Vom Timing her ist es immer schwierig, wenn man mit Deutschland etwas machen will, denn es stehen immer irgendwelche Wahlen an. Entsprechend war es schon recht, dass Macron damals aufgetreten ist. Er hat ein bisschen Feuer gelegt nach dem Motto: «Jetzt macht mal, lasst uns Europa gestalten!» Dass Berlin dann zögernd, vorsichtig und eher passiv reagiert hat, liegt auch daran, dass diese Bundesregierung nicht weiss, wo sie in Europa hinwill.
Trafen mit Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel zwei verschiedene Temperamente und Erfahrungswelten aufeinander?
Das ist so, macht aber nichts. Es gab immer wieder Tandems mit unterschiedlichen Persönlichkeiten. Beunruhigender ist, dass die deutsche Regierung insgesamt «etwas sehr passiv» auftritt. Etwa bei der Klimaschutzdiskussion. All diese Gesetze sind keine mutigen, wegweisenden Entscheidungen. Man hat in Deutschland schon das Gefühl, dass der dynamisch-forsche Macron stört. Weil er noch etwas erreichen will, während die deutsche Regierung eher im Verwaltungsmodus verharrt.
Wird sich das nach Merkels Zeit ändern?
Es kann nur besser werden. Wir raten unseren französischen Gesprächspartnern immer wieder, Kontakte zu den Grünen aufzubauen. Denn diese werden die nächsten zwei Legislaturperioden entscheidend prägen. Das Gute ist – und das sage ich als überzeugter Europäer –, dass die Grünen in Deutschland eine pro-europäische Partei sind. Das ist wiederum für Macron ein gewisses Problem, weil er die Grünen nicht einberechnet hat.
Macron skizzierte eine EU-Migrationspolitik mit einheitlichen Verfahren. Doch dann sah es aus, als ob Frankreich als Mittelmeer-Anrainer keine Verantwortung übernehmen wollte. Wie kommt das?
Das ist ja das Paradox. Vieles, was sich Macron für Europa wünscht, lässt sich innenpolitisch nicht so einfach durchsetzen: Die französischen Häfen waren zu, während Spanien Menschen aufgenommen hat und andere geholfen haben. Trotzdem ist Bewegung ins nicht funktionierende Dublin-System gekommen. Nicht nur wegen Macron, sondern auch dank anderen Ländern. Es könnte also sein, dass Macron letztlich doch noch einen Punkt machen kann. Schwieriger wird es mit einem Euro-Zonen-Budget, das die Deutschen bereits ziemlich deutlich ablehnen.
War Macrons Rede zu enthusiastisch, wollte er zu gross denken?
Ich fand es ausgesprochen wohltuend, dass jemand den Mut hatte, grosse Linien zu zeigen. Das hatte gefehlt. Für alle jene, die an Europa weiterarbeiten wollen, war das ein starker positiver Windstoss durchs verstaubte Zimmer.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.