Als 18-jährige Athletin gewann Caster Semenya vor sieben Jahren in Berlin mit riesigem Vorsprung den WM-Titel über 800 Meter. In ihrer Heimat Südafrika wurde sie danach als Nationalheldin empfangen.
In den Medien weltweit begann hingegen eine Hexenjagd: Wegen ihrer männlichen Gesichtszüge und ihrer ausgeprägten Muskulatur wurde das Geschlecht von Semenya angezweifelt. Medienleute belagerten sie daraufhin auf Schritt und Tritt.
Gesperrt wegen zuviel Testosteron
Nach ihrem WM-Titel wurde sie vom Internationalen Leichtathletik-Verband (IAAF) gesperrt. Untersuchungen hätten ergeben, dass bei Semenya die körpereigene Produktion des Geschlechtshormons Testosteron deutlich über der normalen Grenze bei Frauen liegt. Hyperandrogenismus heisst dieser biologische Sonderfall. Nach elf Monaten wurde die Sperre aufgehoben mit der Auflage, dass sie ihren Testosteronspiegel medikamentös senken muss.
Im Sport und im Rechtssystem sind bislang nur zwei Geschlechter anerkannt. Medizinisch ist dies aber schon lange nicht mehr haltbar, man spricht von einem dritten Geschlecht. Elf Staaten haben dieses inzwischen offiziell anerkannt.
Auch Annette Kuhn, Professorin für Urogynäkologie an der Frauenklinik des Inselspitals Bern, spricht von einem dritten Geschlecht: «Nur wegen Hyperandrogenismus kann man nicht sagen, Semenya sei keine Frau. Das ist nicht wie bei einem Schwangerschaftstest. Es gibt viele Übergänge und keinen fixen Laborwert, der die Grenze bestimmt.»
Kein Grenzwert festgelegt
Keine klare biologische Grenze heisst auch, dass sportjuristisch nicht einfach ein Grenzwert bestimmt werden kann. Nach der aufgehobenen Sperre von Semenya passierte lange nichts. Bis 2014 erneut eine Athletin wegen Hyperandrogenismus gesperrt wurde, nämlich die indische Sprinterin Dutee Chand.
Man legte ihr eine Operation nahe, die sie jedoch verweigerte. Ebenso lehnte es Dutee Chand ab, ihren Testosteronspiegel medikamentös zu senken. Sie rekurrierte beim Internationalen Sportgerichtshof (CAS) und bekam Recht. Vor einem Jahr bekam sie die Starterlaubnis ohne Auflage. Diese Woche lief sie in Rio den 100-Meter-Vorlauf.
Klärung durch eine Studie
Der Leichtathletik-Verband (IAAF) hat nun eine wissenschaftliche Untersuchung in Auftrag gegeben. Es geht um die Frage, ob hyperandrogene Frauen einen Vorteil im Wettkampf haben. Das Ergebnis soll in einem Jahr vorliegen.
Auch Caster Semenya darf in Rio ohne Einschränkungen starten. Bei einem absehbaren Sieg dürfte aber die alte Diskussion wieder losbrechen. Dabei hätte der IAAF sieben Jahre Zeit gehabt, die Frage zu klären, ob hyperandrogene Frauen im Sport einen Vorteil haben.