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Falsche Versprechen Neue Therapien gegen Prostatakrebs werfen Fragen auf

Die Werbung für neue hochpräzise Operationsmethoden klingt vielversprechend. Doch hält sie, was sie verspricht?

Prostatakrebs ist nach wie vor eine der gefürchtetsten Krebsarten bei Männern. Einmal entdeckt, ist bei den Betroffenen die Angst vor den Folgen einer radikalen Prostataentfernung oder der Bestrahlungsbehandlung gross.

Allerdings ist bei etwa der Hälfte aller Männer, bei denen Prostatakrebs entdeckt wird, Warten und Kontrollieren die beste Wahl. Doch dann leben diese in einem ständigen Dilemma: Sie haben Angst vor dem Nichtstun und hoffen, dass der Krebs nicht plötzlich Metastasen bildet.

Gleichzeitig fürchten sie sich aber auch vor den heutigen Standardbehandlungen. Wird die Prostata etwa operativ entfernt oder der Tumor bestrahlt, müssen sie mit einschränkenden Nebenwirkungen wie Inkontinenz und Impotenz rechnen.

Zauberwort «fokal»

Kein Wunder stossen neue Operationstechniken bei Patienten auf offene Ohren. Die Versprechen klingen verlockend: «grosses Potential», «kaum Nebenwirkungen» und «schonende Therapie» – Angebote, die vielen Patienten Hoffnung macht. Endlich scheint man gegen den Krebs etwas tun zu können – fast ohne Nebenwirkungen.

Das ist zumindest im Internet über die sogenannten fokalen Therapien zu lesen, die zurzeit auf den Markt drängen. Sie klingen mit Namen wie «Hochfokussierter Ultraschall (Hifu)», «Nanoknife», «Tookad» oder «Kryoablation» nach Spitzentechnologie. Präzis und fast ohne Nebenwirkungen wird bei den fokalen Therapien nicht die ganze Prostata, sondern nur der betroffene Krebsherd zerstört – so das Konzept.

Nicht die Genauigkeit entscheidet

Mit Hifu verbrennen etwa hoch fokussierte Ultraschallwellen den Krebs, bei der Tookad-Methode lösen eine Kombination aus Laserlicht und Medikament eine photophysikalische Reaktion in der Prostata aus, die Kryoablation lässt Krebsherde gezielt einfrieren und sogar mit Strom sollen gezielt Krebszellen zerstört werden. Das verspricht das Nanoknife. Allen Methoden gemeinsam: die hohe Präzision.

Dass die neuen Methoden gezielt arbeiten können, das bezweifelt Cyrill Rentsch, Urologe und Mitglied bei der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für klinische Krebsforschung SAKK, nicht: «Die Frage ist nicht, wie genau sie sind, sondern ob sie dem Patienten wirklich weniger Folgetherapien und weniger Ableger im Körper bringen.» Dies wisse man zurzeit einfach noch nicht. Langfristige Daten gebe es keine. Deshalb ist er bei den neuen fokalen Therapien noch skeptisch.

Immer noch als experimentell eingestuft

Genauso entscheidend wie die Präzision ist, ob der Chirurg alle Krebsherde findet und entfernen kann. Mehr als einen Herd findet Lukas Bubendorfer, von der pathologischen Klinik am Unispital Basel, in rund zwei Drittel aller entfernten Prostatae. Viele Herde sind winzig klein und mit den heutigen bildgebenden Mitteln nicht ersichtlich. Wenn mit den neuen Hightech-Methoden nur die grösseren sichtbaren Herde entfernt werden, können die kleineren weiterwachsen.

Weil noch viele Fragen offen sind, gelten die neuen fokalen Methoden laut der Deutschen und Europäischen Gesellschaft für Urologie immer noch als experimentell. Das heisst, die Wirksamkeit ist noch nicht belegt. Die neuen Therapien sollten daher nur in klinischen Studien angewendet werden.

Daniel Eberli, Urologe am Universitätsspital Zürich forscht mit der Hifu-Methode. Gemäss seiner noch laufenden Studie zeigen die Nachkontrollen, dass der Krebs bei rund 40 von 100 Männern nach der fokalen Behandlung noch vorhanden ist. 20 Patienten mussten danach enger überwacht werden, 10 Patienten mussten die Prostata entfernen lassen und weitere 10 Patienten behandelte er nochmals mit Hifu. Deshalb ist für Eberli klar: «Es ist noch viel zu früh, um dies flächendeckend anzuwenden.»

Wichtige Fakten fehlen oft

Hifu ist in der Schweiz die am meisten verbreitete fokale Therapiemethode. Mehrere Kliniken und Ärzte werben damit auf ihren Websites.

Einen Teil des Sachverhalts lassen aber viele weg: Das Wort «experimentell» findet sich nahezu nirgends, über die Wirksamkeit wird selten Auskunft gegeben und bei den Nebenwirkungen steht meistens bloss, dass es kaum welche gibt. Dafür ist der Ablauf der Methoden umso genauer beschrieben.

Man darf zwar Werbung für medizinische Behandlungen machen. Aber die muss objektiv, darf nicht irreführend und nicht aufdringlich sein.
Autor: Christoph Zenger Professor für Gesundheitsrecht

Das sei rechtlich problematisch, sagt Christoph Zenger, Professor für Gesundheitsrecht an der Universität Bern. «Man darf zwar Werbung für medizinische Behandlungen machen. Aber die muss objektiv, darf nicht irreführend und nicht aufdringlich sein.»

Die Realität sieht anders aus

Ein Beispiel: die Website von Swissnanoknife. Sie gehört zur Privatpraxis Alta Uro in Basel. Auf der Startseite loben Patienten die neue Elektro-Methode. Doch Nebenwirkungen sind kaum erwähnt und über die langfristige Wirkung steht kaum etwas geschrieben.

Für Gernot Bonkat, Urologe bei Alta Uro ist klar, dass die Methode noch als experimentell gilt und der langfristige Nutzen noch nicht belegt ist. Der Urologe glaubt an die Methode und will diese bekannter machen. Auf Werbung sei er deshalb angewiesen. Allerdings bestreitet er, Patienten zu täuschen oder nicht sachlich aufzuklären.

Vielmehr weist er auf seine Aufklärungsgespräche hin: «Das sind feste Bestandteile eines Aufklärungsgesprächs bei Alta Uro. Es ist ganz wichtig, dass auf all diese Fakten hingewiesen wird. Und ich denke wir nehmen uns da auch viel Zeit.»

Auch öffentliche Spitäler fallen negativ auf

Dieses Argument lässt Zenger, der Experte in Gesundheitsrecht, nicht gelten: «Wir sprechen hier über Werbung und nicht über Aufklärungsgespräche. Man kann nicht falsche oder rechtswidrige Werbung mit einem guten Aufklärungsgespräch korrigieren. Das sind zwei ganz verschiedene Sachen.»

Bonkat räumt ein, dass man Risiken und Nebenwirkungen noch besser darstellen könnte. Er sei offen für Kritik und wolle die Webseite noch einmal überprüfen.

Nicht nur Privatkliniken – auch öffentliche Spitäler sind werberisch sehr aktiv. So etwa das Kantonsspital Baden in Sachen Hifu. Für den Rechtsexperten eine Grauzone. «Es wird einigermassen neutral transportiert, aber die Nebenwirkungen sieht man trotzdem nicht. Und dass die Wirkungen ungewiss sind, sieht man auch nicht», sagt Zenger.

Nachteile oder Risiken werden kaum erwähnt – die Vorteile aber hervorgehoben. Objektive Patienten-Information sei das nicht.

Screenshot von der Webseite des Kantonsspitals Baden
Legende: Auch öffentliche Spitäler - hier etwa das Kantonsspital Baden - werben aktiv für die neuen Therapien. Screen­shot vom Kantonsspital Baden

Lukas Hefermehl ist Urologe am Kantonsspital Baden. Er bietet die Hifu-Operationen an: «Information und Werbung in der Medizin ist immer etwas Problematisches. Es ist immer eine Gratwanderung, wie man das macht.» Heutzutage brauche jedes Spital einen Werbeauftritt um der Bevölkerung das Leistungsspektrum zu demonstrieren. «Wir haben das in dieser Form versucht.»

Es sei schwierig, ein komplexes Thema herunterzubrechen, auf eine Laiensprache. Und fügt hinzu: «Da bleibt manchmal etwas auf der Strecke. Das ist mir bewusst.»

Zuständige Behörde kann einschreiten

Die Aufsicht über die werberischen Aktivitäten im Fall von Basel liegt beim Gesundheitsdepartement des Kantons. Auf Anfrage von SRF wollte der verantwortlichen Kantonsarzt Thomas Steffen aus Datenschutzgründen nichts zur fragwürdigen Webseite in Basel sagen. Er äussert sich nur allgemein: «Generell ist es so, dass wir solchen Fällen nachgehen, wenn wir Meldungen bekommen», sagt Steffen. Die Schwierigkeit sei, dass wir in einer Werbe- und Marketing-Welt leben: «Und diese hat auch die Medizin längst erreicht.»

Als Massnahme kann die Behörde Verwarnungen und Bussen bis 20'000 Franken aussprechen, im Extremfall sogar der Praxis die Betriebsbewilligung entziehen.

Wir haben eine Industrialisierung im Gesundheitswesen.
Autor: Chistoph Zenger Professor für Gesundheitsrecht

Christoph Zenger sieht Handlungsbedarf, denn Ärzte würden immer weiter gehen. «Bis vor vielleicht 15 Jahren war es für Ärzte standesrechtlich noch verboten Werbung zu machen. Unterdessen ist das aufgeweicht», sagt Zenger. «Wir haben eine Industrialisierung im Gesundheitswesen.» Mit Wettbewerb und Konkurrenz. Unterdessen seien medizinische Behandlungen ähnlich wie bereits Arzneimittel zu einer Ware geworden, die man verkauft.

Der Jurist stellt fest, dass der Druck wächst, Werbung für Behandlungen zu machen, die vor allem die positiven Seiten hervorhebt. Allerdings werde dadurch rasch das Objektivitäts- und das Wahrheitsgebot verletzt.

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