Die Vorstellung, im Reagenzglas gezüchtetes Fleisch essen zu müssen, wird sicher dem ein oder anderen einen kalten Schauer über den Rücken jagen. Dann doch lieber Insekten essen, um die lebenswichtigen Proteine zu bekommen oder noch besser – gleich ganz Vegetarier werden.
So oder so ähnlich scheint man auch bei der Migros zu denken. Hier kann man sich Kunstfleisch weder in ferner, geschweige denn in naher Zukunft in den hauseigenen Verkaufsregalen vorstellen. «Als grösster Abnehmer der Schweizer Landwirtschaft ist das für uns keine Option», lässt Mediensprecherin Christine Gaillet SRF News Online wissen.
Man habe Angebote für «Fleischesser sowie Fleischersatzprodukte – Quorn, Cornatur und eine grosse Auswahl an Vegi-Produkten. «Etwas dazwischen braucht es unserer Meinung nach nicht», glaubt man bei der Migros.
Von Euphorie ob des Fleisches aus dem Reagenzglas ist man auch bei der Konkurrenz weit entfernt – hält sich dennoch aber erst einmal alle Optionen offen. «Coop beobachtet laufend die Entwicklung von neuen Technologien und Trends in allen Bereichen», heisst es von offizieller Seite. Entsprechend verfolge man auch die Diskussion rund um Fleisch aus dem Reagenzglas mit Interesse.
Weniger Treibhausgase dank Kunstfleisch?
Verschlafen die Schweizer Grossverteiler hier gerade einen Trend? Oder tun sie gut daran, etwas zurückhaltender zu sein? Eine schwierige Frage. Die Begeisterung der Forscher sollten durchaus kritisch gesehen werden. Aber dennoch verdient das Fleisch aus dem Labor zumindest einen genaueren Blick.
Fangen wir beim Geschmack an. Der, das versprechen die Forscher, soll genau so sein wie beim Naturprodukt. Das entscheidende Argument ist laut den Wissenschaftlern aber die Ressourcenschonung. So werden für die Produktion weniger Energie und Wasser benötigt, Methan- und sonstige Treibhausgasen fallen nicht an – vom Verzicht auf die Züchtung und Schlachtung von Tieren einmal ganz zu schweigen.
Tierschutz und Fleischhersteller sind skeptisch
Alles gut und schön, findet man bei Proviande, dem Dachverband der Schweizer Fleischwirtschaft. «Allerdings bin ich persönlich davon überzeugt, dass es auf absehbare Zeit nicht möglich sein wird, Fleisch im Labor zu konkurrenzfähigen Preisen zu produzieren», sagt Proviande-Sprecher Peter Christen.
Dabei sei das Kunstfleisch schon ein interessantes Projekt. Auch bei Proviande wisse man, dass künftig für immer mehr Menschen immer weniger Nutzfläche zur Verfügung stehen werde. Doch «das ist eher ein politisches Thema, das nicht durch Produkte aus dem Labor gelöst werden wird», meint Christen.
Ähnlich skeptisch beurteilt Helen Sandmeier vom Schweizer Tierschutz die Zukunft von Fleisch aus dem Reagenzglas. «Ich persönlich bezweifle, dass die Produktion von künstlichem Fleisch in naher Zeit einen bemerkbaren Effekt haben wird.»
Bei Preisen von über 300'000 Franken für 150 Gramm sicher keine allzu kühne Theorie. Dennoch kann die Tierschützerin dem Retorten-Burger auch etwas Gutes abgewinnen: «Wenn sich künstliches Fleisch doch durchsetzen sollte, dann hoffe ich, dass weniger Tiere gehalten werden – die dann aber artgerecht.»
Fleischproduktion frisst zunehmend Wasser
Ob es dazu kommen wird, bleibt abzuwarten. Denn Kunstfleisch allein wird nicht ausreichen, um den Hunger der Welt zu sättigen. Der Bedarf nach Steaks, Burger und Co. wächst vor allem in der immer grösser werdenden Mittelschicht in China, Indien und anderen Schwellenländern. Die Folge: Weltweit wird sich laut Welternährungsorganisation der Fleischkonsum bis zum Jahr 2050 mehr als verdoppeln.
Die Entwicklung hat massive Folgen für den Wasserverbrauch. Denn für ein Kilo Schweinfleisch werden fast 6000 Liter benötigt, für ein Kilo Rindfleisch sind es gar mehr als 15'000 Liter. Ein Kilo Kartoffeln hingegen schluckt nur rund 130 Liter Wasser.
Das Wissen um diesen Ressourcenverbrauch kann einen schon zum Vegetarier werden lassen – oder man denkt über das Fleisch aus dem Reagenzglas nach. In ein paar Jahren vielleicht.