- Es gibt kaum valide Studien zur idealen Ernährung. Empfehlungen sind oft nicht mehr als Annahmen.
- Gemüse beispielsweise hilft nicht, Krankheiten wie Krebs zu vermeiden.
- Lebensmittel-Bewertungssysteme sind nicht in Stein gemeisselt. Viele kasteien sich deswegen grundlos.
- Ernährungstrends suggerieren dennoch, dass es die eine ideale Ernährungsform für alle gibt. Bitte lesen Sie hier.
Viel Fleisch, wenig Fleisch, kaum Fett, bloss keine Kohlenhydrate, kein Industrie-Zucker, mediterran oder paläontologisch: Wenn es um die richtige Ernährung geht, weiss es jeder am besten. Und das ist gar nicht mal so verkehrt. Denn die eine für alle ideale Ernährung, die jeden schlank, und noch viel wichtiger: gesund macht, die gibt es nicht. Oder andersherum gesagt: Vermeintliche Ernährungssünden haben nicht für jeden die gleichen Folgen.
Verschiedene Faktoren spielen hier zusammen. Es macht einen Unterschied, in welcher Lebensphase wer was isst: Kinderkörper haben andere Bedürfnisse als erwachsene. Für Schwangere wiederum sind andere Inhaltsstoffe wichtig als für Senioren – von den besonderen Ansprüchen Kranker an ihre Ernährung ganz zu schweigen. So verschieden die Menschen, so verschieden arbeitet auch ihr Stoffwechsel. Während der eine unmittelbar mit einer Gewichtszunahme auf Fettiges reagiert, bereitet dem anderen schwere Kost keine weiteren Probleme.
Ernährung bleibt ein Mysterium
Die Gene scheinen dabei eine wichtige Rolle zu spielen. Ernährungsversuche mit Mäusen aus vier verschiedenen Stämmen über ein halbes Jahr hinweg zeigten, dass alle Tiere von einer japanischen Ernährungsform mit Reis, Fisch und grünem Tee eher profitierten, während die westeuropäische, fett- und kohlenhydratreiche Kost allen Mäusen eher zusetzte. Doch ob und wie sehr sie zunahmen, wie deutlich ihr Cholesterinspiegel und ihr Risiko für Herz- und Gefässkrankheiten anstieg, war von Mäusestamm zu Mäusestamm, ja sogar von Tier zu Tier verschieden.
So alltäglich essen auch ist, im Detail weiss man über die genauen Zusammenhänge nur wenig – auch wenn die nicht enden wollende Flut an Ernährungsmeldungen ein anderes Bild vorgaukelt. Das Problem: Grossflächige oder Langzeitstudien sind aus ethischen Gründen praktisch unmöglich, weil man einer Kontrollgruppen nicht über einen langen Zeitraum gesundes Essen vorenthalten kann.
Skepsis bei Ernährungsstudien
Deshalb handelt es sich bei beinahe allem, was an Studien rund um die Ernährung publiziert wird, um Korrelationen, also Annahmen, dass verschiedene, gleichzeitig auftretende Phänomene miteinander zu tun haben. So sind auch Studien, die verkündeten, Pizza schütze vor Herzinfarkt oder Fleischesser bekämen eher Zwillinge zu bewerten. Korrelationen sind jedoch ein wackeliges Fundament für Empfehlungen.
Kausalitäten wären hilfreicher. Wenn Studien jedoch dem Ursache-Wirkungs-Prinzip nachgehen, handelt es sich meist um Studien mit Versuchstieren. Doch von Mäusen in einem abgeschotteten Labor-Setting lässt sich nicht automatisch auf Menschen mit deren multiplen alltäglichen Einflüssen schliessen. Oft handelt es sich sogar nur um Ableitungen aus Laborexperimenten mit Tests, wie ein Lebensmittel oder Bestandteile in der Petrischale auf Zellen wirken. Andere Studien arbeiten mit Befragungen. Kontrollen zeigten aber, dass sich Wirklichkeit und Aussagen mitunter zu nur 60 Prozent decken.
Problem: Jeder reagiert anders
Die wenigen Untersuchungen, deren Ergebnisse tatsächlich Aussagekraft haben, sind prompt ernüchternd: Die EPIC-Studie beispielsweise untersuchte europaweit an 500‘000 Menschen den Zusammenhang zwischen Ernährung und Krebs. Die hohen Erwartungen an Gemüse beispielsweise konnten sich in der Auswertung nicht bestätigen. Fünf Portionen am Tag als Krebsschutz? Vielleicht eher Geschmacks- als Vernunftssache.
Israelische Forscher überprüften bei 800 Freiwilligen eine Woche lang alle fünf Minuten den Blutzucker und die Effekte auf den Stoffwechsel. Sie ermittelten auch Körpermasse, Blut- und Stuhlproben und die Teilnehmer dokumentierten mit einer App ihre Lebensgewohnheiten und Mahlzeiten. Insgesamt wurden so 46‘898 Mahlzeiten erfasst. Von einheitlichen körperlichen Reaktionen keine Spur: Manche der Teilnehmer wiesen beispielsweise Blutzuckerspitzen nach Sushi auf, ihr Zuckerspiegel war durch Speiseeis aber nicht aus der Ruhe zu bringen. Andere dagegen reagierten auf Tomaten besonders heftig.