Viele Universitäten und Fachhochschulen führen in diesen Tagen zum ersten Mal Online-Prüfungen durch. Statt im Vorlesungssaal sitzen die Studierenden also zu Hause vor dem Computer und schreiben dort eine Prüfung.
Ich glaube an die Eigenverantwortung und Ehrlichkeit der Studierenden.
Vertrauen ist gut, aber ...
Zu Hause eine Prüfung ablegen – wird da nicht gemogelt und gespickt? «Ich glaube an die Eigenverantwortung und Ehrlichkeit der Studierenden», sagt Petra Barthelmess, Mitglied der Leitung Lehre an der Zürcher Hochschule ZHAW. «Die Studierenden haben sich seriös vorbereitet, schliesslich studieren sie für sich», findet auch Etna Krakenberger, zuständig für E-Learning an der Uni Bern.
Dennoch ist man an den Hochschulen nicht naiv: «Wir haben versucht, uns vorzustellen, wie man die Regeln umgehen könnte», so Petra Barthelmess.
Hilfsmittel erlaubt
In vielen schriftlichen Prüfungen dürfen die Studierenden Unterlagen benutzen, auch das Internet. Die Aufgaben sind jedoch so gestellt, dass sich die Antwort nicht einfach nachschlagen lässt. Statt auswendig gelernte Zahlen und Begriffe wiederzugeben, müssen etwa angehende Managerinnen an der ZHAW ein Geschäftsszenario analysieren.
Um das Abschreiben möglichst zu verhindern, setzt die Uni Bern bei schriftlichen Prüfungen Plagiatssoftware ein, ein spezielles Programm, das prüft, ob jemand Textpassagen kopiert hat.
Videoüberwachung
Ein grosses Problem bleibt: Die Studierenden könnten sich über Chat-Apps austauschen und sich so gegenseitig helfen. Gewisse Hochschulen setzen deshalb auf Videoüberwachung. Während der Prüfung muss ständig eine Laptop- oder Smartphone-Kamera mit dem Internet verbunden sein. Eine Aufsichtsperson kontrolliert, ob sich etwa eine zweite Person im Raum befindet oder ob jemand am Chatten ist.
Ein Student, der mehrere solche überwachten Prüfungen hinter sich hat, ist überzeugt, dass man trotzdem mogeln kann, denn die Kamera sehe nie alles.
Zufall und Zeitbeschränkung
Viele Hochschulen setzen auf einfachere Massnahmen. Sie stellen die Prüfung aus einer grossen Sammlung von Fragen zusammen, sodass kaum zwei Studierende die gleichen Aufgaben bekommen. Und bleibt einem für jede Frage nur zwei, drei Minuten, so bleibt auch keine Zeit zum Chatten. Noch schwieriger wird es, wenn man gezwungen ist, sequentiell die Fragen zu beantworten und nicht zwischen den Aufgaben hin- und herspringen kann. Studierende geraten so aber unter starken Druck.
Wir begrüssen das Online-Lernen wie etwa Vorlesungen als Video-Podcasts – Prüfungen aber bitte mit Präsenz.
Viele Studierende wünschen sich deswegen die Prüfungen vor Ort zurück. Isaias Moser ist Co-Präsident des Studierendenverbands der Universität Zürich und bestätigt: «Wir begrüssen das Online-Lernen wie etwa Vorlesungen als Video-Podcasts – Prüfungen aber bitte mit Präsenz.»
Vor Ort – gleiche Bedingungen für alle
Denn Online-Prüfungen führen letztlich zu sehr unterschiedlichen Prüfungsbedingungen: Die einen haben eine Baustelle vor dem Haus, andere eine schlechte Internetverbindung oder schlicht technische Probleme. Kommt hinzu: Bei Online-Prüfungen ist nie ganz klar, was der Rest der Kommilitoninnen treibt und vielleicht doch heimlich spickt. Sitzen alle im selben Raum, ist eindeutig, wie alle die Prüfung schreiben.
Trotzdem ist allen angefragten Verbänden klar: Dieses Semester war aussergewöhnlich. Viele Hochschulen haben deswegen auch das Prüfungsreglement angepasst. Nicht bestandene Prüfungen zählen etwa nicht, oder es werden Vorträge oder Projekte statt Prüfungen erwartet.