Raser sind auch in der Schweiz ein Reizthema – seit Jahren. 2011 erreichte die Empörung über junge Autofahrer, die sich illegale Wettrennen liefern und dabei Menschen an Leib und Leben gefährden, ihren vorläufigen Höhepunkt.
Die Strassenopfer-Vereinigung Roadcross reichte die Volksinitiative «Schutz vor Rasern» ein. Sie sah harte Strafen für die Bleifüsse vor. Das Parlament kam dem Volk zuvor und übernahm die Anliegen im Verkehrssicherheitspaket Via Sicura weitgehend.
Seitdem werden Raser in Schweizer Gerichtssälen weit härter angefasst als früher. Und heute darf sich jedermann mit dem unrühmlichen Titel «Raser» schmücken, der…
- …in einer Tempo-30-Zone mit 70 km/h fährt.
- …innerorts mindestens mit 100 km/h unterwegs ist.
- …ausserorts auf über 140 km/h beschleunigt.
- …und auf der Autobahn die Schallmauer von 200 km/h durchbricht.
Debatte um «Kuscheljustiz» in Deutschland
In Deutschland ist die Raser-Debatte in diesen Tagen neu entbrannt. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat gestern einen Gerichtsentschied von 2015 aufgehoben, der seiner Ansicht nach zu milde ausgefallen ist. Das Kölner Landgericht hatte damals zwei junge Männer mit einer Bewährungsstrafe belegt, nachdem sie bei einem illegalen Wettrennen in der Kölner Innenstadt teilnahmen – mit fatalem Ausgang: Einer der Männer kam von der Strasse ab und fuhr eine 19-jährige Fahrradfahrerin in den Tod.
Mit Lenkrad und Schaltknüppel fahren ist anachronistisch.
Der Physiker André Bresges hat sich wissenschaftlich mit dem Raser-Phänomen auseinandergesetzt. Er ist alarmiert darüber, dass vermehrt illegale Wettrennen in Innenstädten abgehalten werden: «Die Raserszene zieht es hierher, weil sie dort Zuschauer haben.»
Für den Professor an der Universität Köln ist klar: Raser müssen mit der vollen Härte des Gesetzes verfolgt werden. «Denn ein Auto ist gefährlicher als eine Schusswaffe.» Bresges fasst sein Verdikt in Zahlen: 2013 habe es in Deutschland 3000 tödliche Unfälle mit Autos gegeben, aber nur zwölf mit Schusswaffen.
Der Mensch ist fürs Autofahren nicht gemacht.
Der Professor für Physikdidaktik folgert daraus: Wer ein Fahrzeug mutwillig als Waffe oder als Imponierwerkzeug einsetzt, müsse ähnlich belangt werden wie jemand, der eine Schusswaffe gebrauche. Bresges hält es mit Blick auf Deutschland unhaltbar, dass «offensichtliche Gefährdungen des Strassenverkehrs» mit einer «sanften Bussgeldstrafe» geahndet würden.
Die Suche nach dem Kick
Doch wirken die «empfindlichen Strafen», wie sie Bresges fordert, tatsächlich? «Aus der Pädagogik wissen wir, dass Strafen wirken, wenn sie öffentlich bekannt sind. Und es muss auch sanktioniert werden: Was nicht durchgesetzt wird, wird ignoriert und auch nicht akzeptiert.»
Allerdings: Die Attraktivität PS-starker Boliden ist gerade bei jungen, männlichen Autofahrern ungebrochen. Und auch in Hollywood-Blockbustern wie «The Fast and The Furios» wird Rasen weiter zelebriert. Überwiegt der Reiz des Verbotenen? «In der Tat ist gegen dieses ‹coole› Image schwer anzukommen», räumt Bresges ein, der selber einen Sportwagen fährt.
Das Ende des Temporauschs?
Schützenhilfe könnte der technologische Fortschritt liefern. Glaubt man dem Hype um selbstfahrende Autos, könnte sich das Problem schon bald quasi von selbst lösen. «Das ist meine Hoffnung», sagt Bresges.
Aus Sicht der Forschung sei es ohnehin geboten, dass die Maschine das Steuer übernehme: «Der Mensch ist nicht dafür ausgelegt, ein Auto zu führen. Unter Routinehandlungen wird er nachlässig, er gewöhnt sich an die Geschwindigkeit und nimmt sie nicht mehr als Gefährdung war.»
Bresges Schluss: «Das Auto ist das gefährlichste Stück Technik, das je erfunden wurde.» In der Luftfahrt habe man den Faktor Mensch längst zurückgebunden, und das sei auch beim Autofahren geboten, schliesst der Physiker: «Der Autofahrer muss das Gefährt immer noch selber lenken, während der Pilot kommuniziert, überwacht und die Routenplanung durchführt.»
Dies sei auch die Zukunft des Strassenverkehrs, findet Bresges – alles andere sei anachronistisch: «Ich hoffe, dass die automatisierten Systeme künftig als Sicherheitsgewinn wahrgenommen und empfangen werden.»