Am 11. Mai werden verschiedene Corona-Massnahmen gelockert. Zunächst war die Öffnung der obligatorischen Schulen und des Detailhandels vorgesehen. Zusätzlich dürfen nun auch Restaurants, Museen und Bibliotheken den Betrieb aufnehmen. Einen etwas langsameren Fahrplan aus dem Lockdown hätte sich Matthias Egger, Leiter der Covid-19-Taskforce des Bundes, gewünscht.
SRF News: Es ist etwas überraschend, dass der Bundesrat plötzlich aufs Tempo drückt und alles Mögliche auf den 11. Mai zulässt. Ist das alles auf Ihre Empfehlungen zurückzuführen?
Matthias Egger: Nein, sicher nicht. Wir haben ein Papier verfasst, in welchem wir den Übergang in Richtung Normalisierung thematisiert haben. Wir wären eher stufenweise vorgegangen. Nicht ganz so rasch.
Wenn man so viel auf einmal öffnet: Kann man danach noch eruieren, welche Lockerung gefährlich war und zu Ansteckungen geführt hat?
Das ist schon so. Wobei man abschätzen kann, welche Änderungen besonders heikel sind. Man muss diese Änderungen mit begleitenden Massnahmen abstützen und versuchen, das Risiko, dass es wieder zu einem Anstieg kommt, abzufangen.
Viele sehen diese Lockerungen als Entwarnung und laden schon wieder zur Gartenparty ein.
Ich hoffe sie haben Unrecht. Ich hoffe, die Leute verstehen, dass man sich weiter an die Distanz- und Hygieneregeln halten muss.
Wie gross ist das Risiko einer zweiten Welle?
Die Gefahr ist reell. Die Lockerung am 11. Mai muss durch gutes «Contact Tracing» und mit mehr Tests begleitet werden. Positiv Getestete müssen nachverfolgt und isoliert werden, das Umfeld muss in Quarantäne.
Die Gefahr einer zweiten Welle ist reell.
Wo machen Antikörper-Tests Sinn?
Die sind sinnvoll, um zu verstehen, wie die Epidemie sich in der Schweiz ausbreitet. Es ist sinnvoll spezielle Gruppen zu messen. Jene, die die Distanz nicht einhalten können. Etwa Gesundheitspersonal, Polizisten oder Pflegepersonal in Altersheimen. Wenn man versteht, wie sich die erste Welle der Epidemie durch die Schweiz verbreitet hat und wo die Hotspots waren, kann man im Falle einer zweiten Welle gezielt in diesen Hotspots eingreiffen.
Wie ist das für Sie als Wissenschaftler: Da sind ja noch ganz viele Unsicherheiten, gleichzeitig erwartet man von Ihnen bereits eine Empfehlung.
Die Aufgabe der Wissenschaft ist es, Unsicherheiten einzuordnen und zu vermindern, indem man etwa alle Daten zusammenträgt und Empfehlungen aufgrund von Daten unter Berücksichtigung der verbleibenden Unsicherheit abgibt. Mit der Unsicherheit umgehen ist etwas, was die Wissenschaft immer wieder macht.
Hat man in der Schweiz vielleicht auch durch die Erfahrungen mit der Schweinegrippe etwas zögerlich reagiert?
Das ist schwierig zu beweisen, aber sicher möglich. Die Schweiz hatte viele Jahre keine Pandemie mehr. Da muss man ins Jahr 1918 zurück. Das Bewusstsein, dass so etwas passieren kann und wird, ist etwas verschwunden.
Wissenschaftler haben am Anfang der Pandemie kritisiert, sie werden zu wenig in diese Entscheide der Politik eingebunden. Nachher kam die Taskforce. Kam sie zu spät?
Es wäre sicher gut gewesen, wäre sie früher entstanden. Ich habe das auch so empfunden. Im März hatte ich als Wissenschaftler das Gefühl, ich könnte da mithelfen und einen Beitrag leisten. Wir waren praktisch nicht präsent und jetzt mit der Taskforce hat sich das geändert. Ich hoffe, dass sich diese Premiere weiterentwickelt und langfristig zu einer Zusammenarbeit zwischen Politik und Wissenschaft führt, die für beide Seiten gewinnbringend ist.
Das Interview führte Daniela Lager.