War es Mord oder ein tödlicher Irrtum? Diese Frage hat die Richterin zu beantworten, wenn sie im Fall Oscar Pistorius ihr Urteil fällt. Für den Staatsanwalt Gerrie Nel ist indes bereits klar, was in der Nacht zum Valentinstag 2013 geschah. Damals erschoss der Paralympics-Star seine Freundin Reeva Steenkamp durch eine geschlossene Badezimmertür – vorsätzlich, ist Nel überzeugt.
Für ihn ist Pistorius ein Lügner. «Seine Aussage ging völlig an der Wahrheit vorbei», sagte der Chefankläger in seinem abschliessenden Plädoyer im Gerichtssaal von Pretoria. Der südafrikanische Paralympics-Star habe sich eine ganz eigene Version der Tatnacht zusammengebastelt, betonte Nel.
«Hätte ehrliche Version erwartet»
In seinen mehrstündigen Ausführungen versuchte er Richterin Thokozile Masipa noch einmal davon zu überzeugen, dass der heute 27-Jährige in der Nacht zum Valentinstag 2013 seine Freundin Reeva Steenkamp vorsätzlich durch eine geschlossene Badezimmertür erschoss.
«In dem Haus befanden sich nur zwei Menschen. Einer davon wurde getötet», sagte Nel. «Es gab nur einen Überlebenden, und da er sich entschieden hat, auszusagen, hätte man erwarten können, dass er eine ehrliche Version von dem erzählt, was passiert ist.»
«Unverantwortlicher Waffennarr»
Aber Pistorius habe sich geweigert, die Verantwortung für seine Tat zu übernehmen und habe die Schuld von sich gewiesen. Er sei «ein schrecklicher Zeuge» gewesen – und die Argumente der Verteidigung seien «frei von jeder Wahrheit». Pistorius sei ein unverantwortlicher Waffennarr, der die Gesetze missachte, erklärte Nel weiter.
Während des Plädoyers starrte Pistorius mit ernstem Gesicht die meiste Zeit auf den Boden. An früheren Prozesstagen war er mehrmals in Tränen ausgebrochen und hatte sich wiederholt übergeben.
Pistorius hat stets beteuert, dass es sich um einen tragischen Irrtum gehandelt habe, weil er hinter der Tür einen Einbrecher vermutet habe. Er habe in Panik gehandelt, so der Sportler. Eine Psychiaterin hatte dem Sportler eine «intensive Angststörung» bescheinigt. Sein Verteidiger Barry Roux soll an diesem Freitag sein Plädoyer halten.
Tathergang immer noch unklar
Mit den Schlussreden von Staatsanwaltschaft und Verteidigung geht der spektakuläre Prozess gegen den beinamputierten Oscar Pistorius nach Monaten seinem Ende entgegen. 39 Prozesstage und 36 Zeugenverhöre konnten letztlich nicht klären, was in der Tatnacht in Pistorius' Villa in Pretoria wirklich geschah.
Bei ihrem spätestens Ende August erwarteten Urteil muss sich die Richterin vor allem auf Indizien und die Glaubwürdigkeit der Zeugen verlassen. Auch die Schlussreden könnten einen wichtigen Teil zur Entscheidung beitragen. Wird Pistorius des Mordes für schuldig befunden, droht ihm eine lebenslange Haftstrafe.