Ausbildung statt Auswandern, das ist eines der zentralen Ziele des Vereins «Source de vie», den die Aargauerin Margrit Dieterle vor zehn Jahren gegründet hat. Die mittlerweile 77-jährige Frau aus Oberentfelden setzt sich mit ihrem Verein für Zukunftsperspektiven junger Menschen im westafrikanischen Land Benin ein.
Der Verein betreibt Schulen, bietet Ausbildungen in verschiedenen Berufen an, sorgt für sauberes Trinkwasser und sanitäre Einrichtungen und trägt so dazu bei, dass junge Leute in Benin bleiben, sich dort eine Zukunft aufbauen und nicht emigrieren.
Für ihr wirksames und nachhaltiges Engagement wurde die Aargauer Seniorin kürzlich mit dem mit 30'000 Franken dotierten Rotkreuzpreis 2019 geehrt.
SRF: Als Sie erfahren haben, dass Sie den Rotkreuzpreis erhalten, was hat Sie mehr gefreut: Die Anerkennung oder das Preisgeld?
Margrit Dieterle: Es ist die Anerkennung. Das war für mich fast nicht zu fassen, dass wir als so kleines Hilfswerk von der Jury einstimmig für diesen Preis ausgewählt wurden, neben der Konkurrenz von vielen anderen Hilfswerken. Diese Anerkennung hat mich riesig gefreut, denn es ist auch eine Anerkennung für das ganze Team in Afrika, das tolle Arbeit leistet.
Wie ist es vor zehn Jahren überhaupt dazu gekommen, dass Sie als damals 67-jährige Frau im Rentenalter ein Hilfsprojekt in Benin gestartet haben?
Dazu kam ich wirklich fast wie die Jungfrau zum Kind. Ich hatte vor der Vereinsgründung zwei Jahre lang einen anerkannten Flüchtling bei mir beherbergt, er hat mir viele Geschichten aus Benin erzählt. Nach zwei Jahren wollte er mir die Orte seiner schlimmen Erlebnisse in Benin zeigen, wollte das so auch verarbeiten. Er wollte aber nicht alleine gehen und so habe ich ihn begleitet, da ich sowieso schon jahrelang einmal nach Afrika gehen wollte. Ich bekam auf dieser Reise viele Einblicke, auch in die Armenviertel. Die Armut dort hat mich erschüttert, und auch zu sehen wie wenig Perspektiven die jungen Leute dort haben.
Erschütterung ist das eine, aber bei Ihnen ist daraus dann schnell ein grosses Engagement entstanden. Sie haben Land gekauft und zusammen mit Ihrem Begleiter, dem Flüchtling, der bei Ihnen gewohnt hat, begonnen das Hilfsprojekt aufzubauen.
Wir konnten damals nicht wie geplant wieder nach Hause reisen, da unser Flug über Libyen ausgefallen ist. Als wir deshalb noch dort bleiben mussten, kam mir plötzlich die Idee, ich könnte für meinen Begleiter (Alain) hier ein Stück Land kaufen, damit er sich wieder hier niederlassen könnte. Nachdem ich ein bisschen Land gekauft und Alain geschenkt hatte, sagte er zu mir, er wolle nicht einfach für sich ein Haus bauen. Er wolle den Jungen die Chance für eine Ausbildung bieten wie in der Schweiz, damit sie eben nicht das Land verlassen und in Europa ihr Glück suchen. Dabei wollte ich mithelfen, wusste aber, das kann ich nicht alleine, dazu brauche ich Unterstützung. Also habe ich dann verschiedene Freunde und Bekannte angeschrieben und auch bei Stiftungen, Hilfswerken und Kirchgemeinden Spenden gesammelt.
Es gibt gerade in den ärmeren Ländern Afrikas ja viele grosse, mittlere und kleine Hilfswerke aus allen möglichen Ländern mit ganz verschiedenen Hintergründen. Warum haben Sie sich nicht dort angeschlossen, sondern ein eigenes Hilfswerk gegründet?
Es kam uns gar nicht wirklich in den Sinn. Ich hatte schon Kontakt zu anderen Organisationen, zum Beispiel Helvetas und ich hatte mich auch bei der DEZA gemeldet [Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit des Bundes, A.d.R.]. Die sind zwar auch in Benin aktiv, aber meist auch unter Einbezug der Politik. Wir wollten aber als Nichtregierungsorganisation unabhängig von der Politik bleiben.
In den letzten zehn Jahren konnten Sie mit Ihrem Verein in Benin einiges in Gang bringen bezüglich Ausbildung von jungen Leuten, bezüglich Trinkwasser, sanitären Anlagen oder biologischer Landwirtschaft. Nun erhalten Sie dank des Rotkreuzpreises wieder einen finanziellen Zustupf von 30'000 Franken. Was haben Sie damit vor, was für Ziele haben Sie mit dem Verein noch?
Wir können sicher die Schule weiterführen, die aus dem ersten Bildungszentrum entstanden ist, hier gehen aktuell rund 150 Kinder zur Schule. Dann können wir die Schneiderinnen-Ausbildung in den Dörfern sicher noch weiterführen und vor allem weiterentwickeln.
Wie genau?
Wir haben zusammen mit den Schneidern und Schneiderinnen beschlossen eine Art Genossenschaft zu gründen, damit sie ihre Produkte auch selber verkaufen können und so langfristig auf eigenen Beinen stehen können. Dazu brauchten wir zuerst ein Stück Land in der Stadt, weil man ein Verkaufsgeschäft nur in der Stadt machen kann. Mit einem Teil des Preisgeldes haben wir dieses Land schon kaufen können und mit dem anderen Teil können wir nun noch ein Haus dafür bauen, mit Laden, Ateliers, Arbeits- und Schlafräumen und sanitären Anlagen. Die Schneider, die nun zehn Jahre für uns gearbeitet haben, bekommen so die Chance selbständig zu werden in einer Art Zentrum für Bekleidung und Mode. Das haben wir uns schon lange erträumt und nun wird es durch diesen Preis möglich.
Macht es Sie stolz nun zu sehen, was Sie in den letzten zehn Jahren erreicht haben?
Es macht mich sehr glücklich das zu sehen. Es ist eine riesige Freude zu sehen, wie gut unser Projekt mittlerweile in der Gesellschaft integriert ist. Unser Projekt ist nun ein bisschen wie ein Stein, den man ins Wasser wirft und der dann rundherum immer weitere Wellen schlägt.
Das Gespräch führte Stefan Brand.