Verschaffen Sie sich einen Überblick über die bald 40-jährige Geschichte der grössten Schweizer Altlast: Von den ersten vergrabenen Fässern bis zum letzten ausgegrabenen Giftmüll. Mit vielen Videos aus dem Archiv.
1. Der Anfang: Ein Baugesuch
Februar 1976Im «Landanzeiger» wird das Baugesuch für eine «Kehrichtdeponie» in Kölliken ausgeschrieben. Die Deponie soll in der ehemaligen Tongrube der Tonwerke Keller AG, Frick, eingerichtet werden. Es gehen einzelne Einsprachen gegen das Projekt ein. Anwohner fürchten Lärm und Gestank. Der Gemeinderat weist die Einsprachen ab und bewilligt das Gesuch.
Gemäss Baubewilligung ist in der Deponie die Ablagerung von «Bauschutt, Holz, Wurzeln (...) und Sonderabfälle» vorgesehen.
2. Ein Kölliker Bürger erstreitet ein «Pflichtenheft»
Juni 1976Gegen das bewilligte Baugesuch geht eine Beschwerde beim Aargauer Regierungsrat ein. Dieser verabschiedet darauf ein «Pflichtenheft», welches bei der Einlagerung der Abfälle eingehalten werden muss. Darin steht zum Beispiel, dass die Ablagerung von «toxischen» Stoffen verboten sei.
Gleichzeitig aber erteilt die Aargauer Regierung eine Betriebsbewilligung und hält darin fest, dass man die Deponie auch für «Sondermüll» öffnen solle. Die genauen Abläufe bleiben bis heute schleierhaft.
3. Die ersten Giftmüll-Lastwagen kommen
August 1977Noch bevor die Sondermülldeponie überhaupt geöffnet ist, lassen die Behörden (gemäss einem kurzen Bericht im Aargauer Tagblatt vom 21. Juli 1977) Sondermüll aus einer Deponie im Birrfeld (Lupfig) nach Kölliken transportieren. Dieser wird in die offene Tongrube gekippt. Im Dorf tauchen die ersten kritischen Fragen auf, welche von den Behörden aber gemäss Augenzeugen relativ salopp abgetan werden.
4. Die Sondermülldeponie Kölliken wird offiziell eröffnet
16. Mai 1978Inzwischen gibt es keinen Zweifel mehr: Aus der Kehrichtdeponie ist eine Sondermülldeponie geworden. Später gibt es dafür mehrere Erklärungen: Man habe sich «falsch verstanden», heisst es. Der damalige Gemeindeammann erklärt gegenüber einer Aktivistin offenbar, man habe das Wort «Müll» vermieden, weil dieses sowieso nicht verstanden werde.
Tatsache ist: Die Deponie ist nun offiziell auf Sondermüll ausgelegt. Und trotzdem bleibt der Widerstand in Kölliken noch sehr gering. Man glaubt den Wissenschaftern und Behörden: Die Tongrube sei dicht und sicher. Die Deponie ein wichtiger Beitrag zum Umweltschutz.
5. Protest der Anwohner
27. März 1979Schon bald gibt es Kritik am Betrieb der Sondermülldeponie in Kölliken, wie die Sendung «Blickpunkt» berichtet. Die Anwohner klagen über Gestank und Staub. Viele leiden unter Kopfschmerzen. Die Sonderabfälle lagern zum Teil unter freiem Himmel. Später gelangen giftige Stoffe auch in den Dorfbach, es kommt zu einem Fischsterben.
Die Kontrollen am Eingang der Sondermülldeponie sind dilettantisch. Ein Arbeiter kontrolliert Farbe und Geruch der Lieferungen, bei geschlossenen Fässern klopft er an die Oberfläche, um flüssige Substanzen auszuschliessen. Von Chemie hat er keine Ahnung. Die Behörden erklären, dass man den Zulieferern vertrauen müsse.
6. Gemeinderat verfügt vorläufigen Deponiestopp
22. April 1985Trotz verschiedener Sanierungsmassnahmen wie Abluftanlagen und Tanks für flüssige Abfälle: Der Widerstand in Kölliken wächst und wächst, die Probleme können nicht gelöst werden.
1985 grassiert schliesslich die Angst, verseuchtes Abwasser könnte die Trinkwasserversorgung in Kölliken gefährden. Der Gemeinderat verfügt deshalb einen «provisorischen» Deponiestopp.
7. Aufschrei in der Industrie: Wohin mit dem Sondermüll?
7. Juni 1985Nach der Schliessung der Sondermülldeponie Kölliken stehen Industrie und Gewerbe in der Schweiz vor einem Problem: Sie wissen nicht mehr, wohin sie ihre Abfälle bringen sollen. «Das war ein Aufschrei», erinnert sich noch heute der ehemalige SMDK-Geschäftsführer Jean-Louis Tardent.
8. Erste Untersuchungen in der Deponie
3. Oktober 1985Die Sendung «DRS Aktuell» berichtet über Grabungen in der Sondermülldeponie. Proben des Giftmülls werden ausgegraben und untersucht. Gesucht wird nach falsch deklarierten Materialien. Bereits vorher hat der zuständige Baudirektor Ueli Siegrist angekündigt, dass es vielleicht auch Strafuntersuchungen gebe.
9. Das Dorf bleibt wehrhaft
22. Januar 1986In Kölliken beginnt ein erster Sanierungsversuch in der Sondermülldeponie. Auch die gefährliche Verflechtung von Betrieb und Aufsicht will man in den Griff kriegen.
Der Zwist in der Gemeinde ist damit aber noch nicht erledigt: Noch immer pocht der Kanton darauf, die Deponie wieder eröffnen zu können. Die Gegner im Dorf wehren sich.
10. Die Schuldfrage taucht auf
22. September 1986Ein Anwalt ermittelt im Auftrag des Regierungsrats und sucht Schuldige. Die offiziellen Ermittlungsbehörden haben sich für befangen erklärt. Allerdings: Der Anwalt beschwert sich über Behinderungen bei den Ermittlungen.
Tatsächlich verlaufen alle Ermittlungen im Sand: 1988 werden sämtliche Verfahren eingestellt. Bis heute musste sich juristisch niemand verantworten für die Fehler bei der Einlagerung des Sondermülls in Kölliken.
11. Die Kosten explodieren
13. August 1987Bereits in den 80er-Jahren wird über die Finanzierung der Sondermülldeponie in Kölliken diskutiert. Denn: Die Deponie kostet auch jetzt, wo sie geschlossen ist. Sanierungs- und Schutzmassnahmen führen zu einer regelrechten Kostenexplosion.
Kein Wunder, dass der Baudirektor noch immer darauf pocht, dass man die Deponie bald wieder eröffnen und die Grube noch ganz auffüllen kann.
12. Retten, was zu retten ist
23. Januar 1995Die Deponie sei umweltverträglich, sagen die Behörden nun. Doch täglich wird vergiftetes Wasser abgepumpt, wird austretendes Gas verbrannt. 70 Millionen Franken hat man bereits investiert, nun braucht es weitere 40 Millionen. Die Sondermülldeponie Kölliken hat sich zu einem «Fass ohne Boden» entwickelt.
Noch immer aber glauben Betreiber und Behörden, dass man die Deponie in Kölliken belassen kann. SMDK-Geschäftsführer Tardent spricht davon, dass man dazu aber noch Jahrzehnte in die Sanierung investieren müsse.
13. Der Entscheid: Die Sondermülldeponie muss weg
6. September 2001Die Aargauer Regierung hat entschieden: Die Sondermülldeponie Kölliken kann nicht mit vernünftigem Aufwand gesichert werden. Deshalb trifft man einen radikalen Entscheid: Alles Gift soll wieder ausgebaggert und dann fachgerecht entsorgt werden. Bis zu 500'000 Tonnen Sondermüll sollen wieder aus der Grube gehoben werden.
Für die Sicherung der Deponie hat man bisher etwa 100 Millionen Franken ausgegeben. Eine Ausgrabung sei unmöglich, koste viel zu viel, sagten die Experten bisher. Jetzt heisst es: Die Ausgrabung sei wohl doch günstiger.
14. Anwohner wollen Schadenersatz
15. November 200123 Anwohner der Sondermülldeponie Kölliken/AG (SMDK) reichen in Aarau eine gemeinsame Schadenersatzklage gegen den Kanton Aargau als Mitgesellschafter der SMDK ein. Sie fordern insgesamt rund 17 Millionen Franken.
Die Deponie habe den Wert ihrer 31 Grundstücke halbiert, teilt die Klägergruppe heute mit. 10,5 Hektaren Land in unmittelbarer Nähe der zugedeckten Deponie sind von der Klage betroffen. Die Altlast im Boden schrecke Käufer und Investoren ab, und Banken verweigerten Kredite für Neubauten oder Käufe.
15. Die grosse Halle an der Autobahn
27. März 2006Mit einem aufwändigen Projekt wird die Sondermülldeponie Kölliken saniert. Jahrzehnte nach dem Umweltskandal trifft 10vor10 den Geschäftsführer der Deponie. Er wurde einst eingestellt, um die Deponie so schnell wie möglich wieder zu eröffnen. Heute leitet er die Sanierung.
16. Spatenstich zum Rückbau
5. November 2007Mit einem Spatenstich wird der Rückbau der Sondermülldeponie Kölliken offziell gestartet. Über 500'000 Tonnen Giftmüll und verseuchte Erde werden ausgebaggert und entsorgt. Damals geht man davon aus, dass die Arbeiten bis 2012 abgeschlossen sein werden.
17. Ein Brand verzögert den Rückbau
10. Juli 2008Der Rückbau der Sondermülldeponie Kölliken ist gefährlicher als gedacht. Ein Brand unter dem Hallendach sorgt für Schlagzeilen. Die Arbeiten werden ein halbes Jahr lang unterbroche. 2008 wird der Rückbau unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen wieder aufgenommen.
Das revidierte Rückbaukonzept der Deponie, die als grösste Altlast der Schweiz gilt, wird auch Folgen auf den Zeitplan haben. Kurz: Der Rückbau dauert länger als geplant - und kostet damit natürlich auch mehr als geplant.
18. Der Rückbau geht weiter
16. Januar 2009Im Frühjahr 2009 berichtet «Schweiz aktuell» über den Rückbau in den grossen Hallen von Kölliken.
19. Erste Rückbauetappe beendet
20. August 200920. Und wieder braucht es Geduld
18. Oktober 2010Diese Meldung wird zur Gewohnheit: Die Räumungsarbeiten in der Sondermülldeponie Kölliken dauern länger als ursprünglich angenommen. Erst in eineinhalb Jahren sei es soweit, heisst es nun. Heute weiss man: Es ging dann noch länger.
21. Verzögerungen und Mehrkosten
11. März 2011Die Entsorgung der Sondermülldeponie verzögert sich nicht nur zeitlich, sie kostet auch ständig mehr.
22. Der tiefste Punkt ist erreicht
21. Juli 2014Seit nunmehr sieben Jahren wird in Kölliken ausgebaggert, was zwischen 1978 und 1985 in sieben Jahren eingelagert wurde. Die Sendung «10vor10» berichtet über den Zwischenstand.
23. Endspurt in der Sondermülldeponie
5. Januar 2015Noch in diesem Jahr soll der Rückbau der Sondermülldeponie in Kölliken beendet sein: Das vermeldet «Schweiz aktuell» im Januar 2015. Und tatsächlich: Am 25. Juni informieren die Betreiber und das Konsortium aus Kanton Aargau, Zürich, Stadt Zürich und Basler Chemie darüber, dass man mit der Sanierung demnächst fertig sei.
Quellennachweis:
- Privatarchiv Hertha Schütz-Vogel, Kölliken/Unterentfelden
- Website Sondermülldeponie Kölliken (smdk.ch, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen)
- Website Walter Hess (ehem. Journalist Aargauer Tagblatt, textatelier.com, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen)
- «Die Zeit»: Apokalypse im Aargau von Daniel Bütler (27.02.2014) (Link, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen)