Irene Renold steht in der Stube ihrer zukünftigen Wohnung in Baden-Dättwil. Was auf den ersten Blick nichts Spezielles ist, wird beim Blick auf die verwendeten Baumaterial sehr interessant.
Sie und ihr Mann erfüllen sich mit dem Neubau einen Traum. Sie realisieren ein Strohballenhaus. Die Strohballen kommen direkt von einem Bauern. Viele davon sind schon verbaut. Aber zeitweise standen sie in grossen Stapeln rund um die Baustelle.
Die ungewöhnliche Baustelle lockt immer wieder Menschen an. Sie bleiben stehen und erkundigen sich, was da gebaut werde.
Renold erzählt den Menschen, dass sie in einem Haus aus natürlichen und nachwachsendem Material leben will. Und sie schildert, wie sie zusammen mit ihrem Mann auf einer langen Weltreise verschiedene Lebensweisen kennengelernt hat. In Griechenland lebten sie in einem Haus aus Lehm und Holz. Und in den USA entdeckten sie das Konzept des «Earthbag House» (Erdsack-Haus).
«Das ist eine Bauweise, wo man nur das verwendet, was schon vorhanden ist», eklärt Irene Renold. «Im Fundament werden zum Beispiel Autopneus verbaut. Und die Wände bestehen aus Säcken, die mit Erde gefüllt sind.»
Zurück in der Schweiz suchte das Ehepaar Renold ein Architekturbüro, das ihren Wunsch nach einem Haus aus natürlichen und lokalen Materialien umsetzen konnte. Fündig wurden sie im Kanton Graubünden beim Atelier Werner Schmidt. Für dieses arbeitet Michael Schneider.
Der Architekt hat das Haus in Baden entworfen. Er sieht grosse Vorteile in den Baumaterialien Holz und Stroh. Beides seien nachwachsende und CO2-neutrale Rohstoffe. Insbesondere das Stroh binde sehr viel CO2. Es isoliere hervorragend, und es schaffe zusammen mit einem Verputz aus Lehm und Kalk ein sehr gutes Raumklima. «Die Wände atmen, das gleicht den Feuchtigkeitshaushalt aus. Je nachdem schmeckt man einen wohlwollenden Geruch vom Stroh, vielleicht so wie beim Bierbrauen, so einen herben feinen Geschmack, aber nicht aufdringlich, mehr so wie ein feines Parfum.»
Das Stroh hat einen wohlwollenden Geschmack, so wie ein feines Parfum.
Zu einem Ökohaus gehört aber mehr als nur Holz und Stroh. Vor der Baustelle liegen zwei grosse schwarze Tanks.
Die Tanks werden in der Erde vergraben und fassen das Regenwasser, das auf dem Dach gesammelt wird. Dieses läuft durch einen Filter und kann als Trinkwasser gebraucht werden. Auf dem Dach wird eine Photovoltaik-Anlage installiert. Der Solarstrom betreibt eine Wärmepumpe, die das Haus mit Warmwasser versorgt.
In Dättwil entsteht ein Haus mit zwei Etagenwohnungen à 3.5 Zimmer. Die tragende Struktur des Hauses besteht aus Holz. Die Wände bestehen aus einer Art Kästen. Und in diesen werden die Strohballen aufgeschichtet. Bauleiter Uwe Jakob erklärt, wie man mit diesem Material umgehen muss.
Das Zuschneiden der Ballen sei aufwändige Handarbeit. Im Gegensatz zu anderen Baumaterialien bekomme man die Strohballen nicht in verschiedenen Normgrössen, sondern einfach so, wie sie der Bauer auf dem Feld mit seiner Maschine presst. Auf der Baustelle müssten sie dann zum Teil zugeschnitten werden. Und damit man die Strohballen verputzen kann, müssen sie sehr fein geschnitten, «getrimmt» werden. Dazu müssten die Bauarbeiter speziell geschult werden.
Wie steht es denn mit der Brandgefahr in einem Haus aus Holz und Stroh? Diese sei sehr klein, sagt Bauleiter Uwe Jakob. Die Strohballen seien dicht gepresst. Genau gleich wie Holz sei Stroh nur dann gefährlich, wenn es offen herumliege, wenn also Sauerstoff dazu gelange. Ansonsten sei es nicht gefährlich.
Brandschutztechnisch ist Stroh noch besser, als wenn man mit Beton bauen würde.
Während der Bauzeit gelten allerdings strenge Sicherheitsvorschriften, da in dieser Zeit viel Stroh offen herumliegt. Die Arbeiter dürfen nicht rauchen. Und Wasserschläuche sind in Griffweite, falls sich durch den Funkenwurf einer Maschine das Stroh entzünden sollte. Die Wände des Strohballenhauses in Dättwil sind 1.2 Meter dick.
Das gibt dem Architekten die Möglichkeit, bei den Fenstern eine Art Erker zu bauen mit gemütlichen Sitz- oder Liegemöglichkeiten. Aber die Dicke der Mauern ist auch ein Nachteil, denn dadurch wird die Fläche der Wohnung reduziert. Und das Bauen mit Stroh ist nicht billiger als konventionelles Bauen, weil die Verarbeitung sehr aufwändig ist. Und es gibt noch ein (kleines) Problem: Handwerker mit Heuschnupfen können nicht auf einer Strohballenhaus-Baustelle arbeiten.