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Freitags-Gast «Kein Spital ist für so eine Pandemie gerüstet»

Daher sei es wichtig, dass alle die vom Bund erlassenen Massnahmen möglichst gut respektieren, sagt der Fachmann.

Die Zahl der am Corona-Virus Erkrankten nimmt stark zu - und wird es weiter tun. Wie ist das Unispital Basel (USB) gerüstet? Wie lange dauert die Pandemie noch? Würde er noch Zugfahren, ins Kino oder ins Restaurant gehen? Die Fragen gehen an Andreas Widmer, längjähriger Infektiologe und Chefarzt am USB.

Regionaljournal Basel: Wieviele Corona-Erkrankte in kritischem Zustand liegen zur Zeit im Unispital?

Andreas Widmer: Das will ich nicht sagen. Ich kann sagen, dass zur Stunde 17 Patienten bei uns sind, es geht ihnen den Umständen entsprechend gut.

Andreas Widmer

Stellvertretender Chefarzt und Leiter der Abteilung für Spitalhygiene am Universitätsspital Basel

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Andreas Widmer arbeitet seit mehr als 20 Jahren am Unispital Basel.

Der Bundesrat hat Massnahmen erlassen und wird heute weitere beschliessen. Sind diese Massnahmen angemessen?

Weitgehend Ja. Wir haben ja nicht nur das Corona-Virus, auch die Grippe ist noch nicht vorbei, und dann gibt es noch andere Erkrankungen. Das alles zusammen sorgt schnell für Kapazitätsengpässe.

Zwei deutsche Ökonomen sagen, vor 2 Jahren habe es wegen der Grippe 25 000 Todesfälle gegeben. Niemand habe gross Notiz davon genommen. Was ist jetzt anders?

Die Antwort ist einach: In China verstarben viele Krankenhausmitarbeiter, die ganz zu Beginn mit dem Virus in Kontakt kamen. Das passiert bei einer normalen Grippe kaum. Bei diesem Virus fallen Ärzte und Krankenpfleger aus. Das ist das Schwierige an dieser neuen Situation.

Das heisst, der enscheidende Unterschied zur normalen Grippe ist, dass niemand in der Bevölkerung immun gegen das Corona-Virus ist?

Genau, die Jungen verbreiten unglaubliche Mengen an Viren, erkranken aber kaum daran. Aber sie stecken die ältere Bevölkerung an, die dann in grösserer Zahl als bei der Grippe schwer erkrankt und die Notfallstation blockiert.

Sie sagen, die Jungen verbreiten das Corona-Virus – was bedeutet das genau?

Wir müssen die Infizierung der Bevölkerung dosiert ablaufen lassen. Deshalb sind auch die Jungen aufgefordert, vorsichtig zu sein, damit die Verbreitung des Virus langsam abläuft und die Notfallstationen nicht kollabieren. Wir stellen jetzt schon eine gewisse Immunisierung der Bevölkerung fest. Es ist unsere Hoffnung, dass das so weitergeht, und das Virus so eingedämmt wird. Wenn aber alle sorglos bleiben, werden alle auf einmal krank – Junge und Alte – was das Gesundheitssystem nicht verkraftet.

Der Bundesrat hat heute verschiedene Verschärfungen im Kampf gegen das Virus angekündigt. Reicht das?

Ich kann mich nicht zu allen Vorschlägen, die herumgeistern, äussern. Viele dieser Massnahmen sind umstritten, weil sie häufig zu spät kommen. Schliessen wir die Schulen, verlangsamen wir die Immunisierung der Jungen, denen das Virus wenig antut. Ich denke, wir müssen das Maximum ausnutzen, ohne in Übertreibungen zu verfallen, die nicht zielführend sind.

Konkret: würden Sie die Schulen in Basel-Stadt und Baselland schliessen?

Ich würde das nicht machen, wir verzögern die Immunisierung der Jungen. Aber es ist auch ein schwieriger politischer Entscheid. Ich bin froh, muss ich den nicht fällen. Kinderkrippen würde ich hingegen schliessen, da dort das social distancing nicht funktioniert. Aber wissen Sie, wir wissen noch nicht mal, wer am Virus erkrankt: Sind es auch die ganz Kleinen, denen es einfach wenig ausmacht? Oder werden sie schlicht nicht befallen? Wir kennen die ganzen Mechanismen dieses Virus erst sehr schlecht.

Südkorea hat das Virus relativ gut in den Griff gekriegt, in dem es die Kranken trackt, das soziale Leben praktisch auf Null herunterfährt – müsste die Schweiz auch soweit gehen?

Das ist sicher eine Diskussion wert. Wir im Gesundheitswesen müssen den Datenschutz respektieren und viele andere Normen, was alles noch komplizierter macht in dieser Situation.

Rund 20 Prozent aller Pflegeansgestellten im Unispital sind Grenzgänger aus Deutschland und Frankreich. Wenn die nicht mehr kämen, weil deren Regierungen die Ausreise sperrten, was würde das bedeuten?

Das wäre nicht zu verkraften. Schon jetzt haben wir Ausfälle, weil einzelne Mitarbeiter aus Frankreich nicht mehr zur Arbeit erscheinen, da sie ihre Kinder nicht mehr zur Schule schicken können.

Wie geht es denn jetzt weiter mit der Zahl der Erkrankten?

Die Zahl wird stark steigen, so wie in China und Italien. Wir hinken Italien etwa 10 Tage hinterher. Daher müssen wir diese exponentielle Wachstumskurve brechen.

Wie ist das Unispital für diese Situation gerüstet?

Kein Spital auf dieser Welt – schon gar nicht jene in den USA – sind für diese Pandemie gerüstet, die alle 100 Jahre über die Menschheit hereinbricht. Wir haben genügend Masken, auch die internen Massnahmen sind umgesetzt, aber wir werden wohl nicht darum kommen, nicht dringende Eingriffe zu verschieben, weil unser System sonst nicht mehr funktioniert.

Das Unispital hat 22 Beatmungsplätze – reicht das?

Die werden sehr schnell besetzt sein. Aber wir haben Pläne, andere Plätze mit Beatmungsgeräten frei zu bekommen. Deshalb verschieben wir nicht zwingende Operationen.

Sie sind seit ein sehr erfahrener Infektiologe. Was haben sie aus dieser Krise gelernt?

Dass sich diese Viren noch viel schneller ausbreiten können, als wir uns das je vorgestellt haben. Ich bin seit 20 Jahren hier, sowas habe ich noch nie gesehen.

Wann wird die Pandemie vorbei sein?

Wüsste ich das, ginge ich an die Börse. Ich weiss es nicht. Wir glauben, dass in drei Monaten die erste Welle vorüber ist, und dass es im nächsten Winter eine neue Welle gibt.

Sie sind hier in leitender Funktion – kommen Sie noch zum Schlafen?

Mehr als 4 Stunden sind es im Moment nicht. Wir haben eine sehr gute Task Force, aber auch dort liegen die Nerven langsam blank, weil alle seit einiger Zeit sehr viel arbeiten.

Wenn Sie Zeit hätten, würden sie in Kino gehen, ins Restaurant oder Zugfahren?

Ins Kino und Zugfahren würde ich nicht, da sitzt man häufig zu eng beieinander und während mehr als 15 Minuten. Ins Restaurant würde ich auch nur wenig gehen.

Das Gespräch führte Georg Halter.

Regionaljournal Basel, 17:30 ; 

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