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Entscheid des Bundesgerichts Natalie Rickli wurde durch Rap-Text nicht sexuell belästigt

  • Vier Berner Musiker und eine Musikerin veröffentlichten 2014 einen Song über die Zürcher SVP-Politikerin Natalie Rickli.
  • Sie wurde darin stark beleidigt – auch durch sexuelle Äusserungen.
  • Den Tatbestand der sexuellen Belästigungen erfüllt der Song allerdings nicht, hält das Bundesgericht nun fest.
  • Dennoch muss das Obergericht den Fall nochmal behandeln.

Das Obergericht verurteilte die Musikerin und die Musiker 2018 zu bedingten Geldstrafen. Die Vorwürfe: Beschimpfung und üble Nachrede. Sexuelle Belästigung stellte das Obergericht nicht fest.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern zog das Urteil weiter vor Bundesgericht. Sie beantragt, die Interpreten zusätzlich der Verleumdung und der sexuellen Belästigung schuldig zu sprechen.

Keine sexuelle Belästigung

Im Liedtext haben die Interpreten den Eindruck erweckt, dass Natalie Rickli ihre politische Laufbahn nur sexuellen Gefälligkeiten gegenüber Parteikollegen zu verdanken habe.

Der Tatbestand der sexuellen Belästigung ist laut Bundesgericht jedoch nicht erfüllt. Dafür wäre «eine unmittelbare Wahrnehmung der Äusserung durch das Opfer» nötig, teilt das Bundesgericht mit. Die Interpreten wandten sich mit der Veröffentlichung des Songs im Internet jedoch nicht direkt an Natalie Rickli, sondern an ein dieser gegenüber kritisch eingestelltes Publikum.

Gleichzeitig hält das Bundesgericht jedoch fest, dass der Song «inhaltlich zweifellos einen groben verbalen Angriff darstellt».

Das Urteil wird dennoch ans Obergericht zurückgewiesen. Dieses wird ergänzend prüfen müssen, ob anstatt des Tatbestandes der üblen Nachrede derjenige der Verleumdung erfüllt ist. Diesen Teil der Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft heisst das Bundesgericht gut.

Kritik am Bundesgerichts-Urteil

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Legende: Keystone

Als «sehr zaghaft» bezeichnet der Zürcher Strafrechtsprofessor und SP-Ständerat Daniel Jositsch das Urteil des Bundesgerichts. «In Bezug auf die sexuelle Belästigung ist es eine sehr enge Interpretation von Artikel 198 StGB.» Moderne Kommunikationsformen, insbesondere Soziale Medien, seien nicht berücksichtigt worden. Jositsch hätte sich vielmehr erhofft, dass das Bundesgericht auch den Freispruch wegen sexueller Belästigung beanstandet. «Dies hätte eine Signalwirkung gehabt: Dass Leute auch im Internet vor sexueller Belästigung geschützt wären.»

Gar als «Rückschritt für die moderne Schweiz» sieht Jolanda Spiess-Hegglin, Geschäftsführerin Netzcourage, den Entscheid. In Sachen Digitalisierung präsentiere sich das Land als Vorzeigenation. «Gleichzeitig lassen wir mit einem Analog-Gesetz aus dem letzten Jahrhundert die Opfer der Digitalisierung allein, meist Frauen, Schwächere und Minderheiten.»

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