Weil sie als Frauenrechtlerin nicht streng auf Parteilinie politisierte, ging die SVP auf Distanz zu ihr. Ruth Im Obersteg Geiser, die damals noch Ruth Geiser-Im Obersteg hiess, trat in der Folge aus der SVP aus, und schaffte ihre Wiederwahlen als Parteilose im Alleingang, nicht zuletzt dank dem Support der SP.
Die diplomierte Handelslehrerin und vierfache Mutter führte von 1971 bis 1984 die Baudirektion der Stadt Bern. Von 1974 bis 1978 sass sie zudem im Grossen Rat des Kantons Bern.
Als erste Frau im Gemeinderat - zwei Jahre nach dem Stadtberner Ja zum Frauenstimmrecht - sei sie vom Männergremium zwar «nid grad grüseli wohlwollend» aufgenommen worden, erinnerte sie sich 2011 in einem Zeitungsporträt zum 90. Geburtstag. Doch habe man sich - unter dem damaligen Stadtpräsidenten Reynold Tschäppät (SP) - gegenseitig zu respektieren begonnen.
Nicht alles Wünschbare machbar
Auch im hohen Alter zeigte sich die frühere Politikerin - inzwischen «passives» Mitglied der BDP - immer noch stark am politischen Geschehen interessiert. Die Atomkatastrophe von Fukushima habe sie zur aktiven AKW-Gegnerin gemacht. Wichtig sei aber auch, dass die Leute bereit seien, sich einzuschränken - nicht nur beim Energieverbrauch.
Dazu brauche es die Einsicht, dass nicht alles Wünschbare auch vernünftig und machbar sei. Fatal sei auch, dass die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergehe. «Von den Reichen erwarte ich mehr Genügsamkeit», sagte Im Obersteg Geiser 2011.
Unbehagen bereitete ihr auch die Verhärtung des politischen Klimas und «die effekthascherische Politik der Angstmacherei» ihrer früheren Partei. Das ständige Gerede über Angst, Ruhe und Ordnung habe sie schon vor Jahren eingeengt. Im Vergleich mit von Krieg und Katastrophen versehrten Staaten lebe man hierzulande in einem ruhigen und friedlichen Land.
Tschäppät: «Eine unerschrockene Kämpferin»
Der heutige Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP), Sohn von Raymond Tschäppät, erinnert sich an Ruth Im Obersteg Geiser als «unerschrockene Kämpferin», wie er am Samstag dem Regionaljournal erklärte.
Es sei eigentlich erstaunt, dass ausgerechnet eine SVP-Frau den Weg für die Frauen in die Stadtberner Politik geebnet habe. Die frühere Gemeinderätin habe die Stadtpolitik bis zu ihrem Tod engagiert mitverfolgt und ihn ab und zu angerufen, um ihre Meinung kundzutun, sagte Tschäppät weiter.
Die Trauerfeier für Ruth Im Obersteg Geiser findet am Donnerstag, 8. Januar, in der Berner Heiliggeistkirche statt.