Noch ist der Niesengipfel kahl. Zwischen den Geröllfeldern wachsen Gräser und Disteln, an die steilen Hänge hat es Enzian. Gut möglich, dass die kahle Bergspitze dereinst mit Wald zugewachsen ist. «Vielleicht kann man sich in zweihundert Jahren gar nicht mehr vorstellen, dass der Niesen einst nicht bewaldet war», sagt der für den Niesen zuständige Förster Stephan Luginbühl.
Der Wald wälzt sich einen Meter pro Jahr den Hang hinauf.
Der Berner Oberländer pflegt den Wald rund um den Niesen seit fast drei Jahrzehnten. Seine Beobachtung: Die Waldgrenze verschiebt sich immer weiter nach oben. «Wie eine Walze kämpft sich der Wald jedes Jahr um einen Meter weiter hinauf», sagt Luginbühl. «Ein Meter pro Jahr: Das ist viel», so der Förster.
Der Grund: Die Winter werden immer wärmer, die Vegetationszeit immer länger. Der Wald ist aber auch besser geschützt, seit vielen Jahren darf das Vieh nicht mehr im Schutzwald weiden. Die Nutztiere knabbern also nicht mehr an den jungen Bäumen.
Förster Stephan Luginbühl will es nun genau wissen. Er hat vor zwei Jahren mit seinem Team unterhalb des Gipfels kleine Nadelbäume angepflanzt – vierhundert Meter über der Waldgrenze.
Eigentlich verrückt. «Wir würden es nicht machen, wenn wir nicht mit einem Erfolg rechnen würden.» In 50 Jahren soll hier ein Wald wachsen und die Siedlungen vor Lawinen und Murgängen schützen.
Mehr Murgänge befürchtet
Das wärmere Klima kommt also dem Schutzwald zu gute. Doch Stephan Luginbühl rechnet für die Zukunft mit mehr Niederschlägen. «Wegen des Klimawandels nehmen die Gefahren von Murgängen zu», so Luginbühl. «Wir müssen uns in Zukunft noch mehr schützen. Der positive Effekt wird also wieder zunichte gemacht.»
(Rendez-vous, 12:30 Uhr)