Drei Monate nach seiner Flucht aus der Geiselhaft der Terrorgruppe Abu Sayyaf auf den Philippinen ist Lorenzo Vinciguerra im Alltag angekommen. «Ich reite auf einer Welle des Glücks und habe die Schatten des Bösen auf der Insel zurückgelassen», sagte der dreifache Familienvater vor den Medien.
Abgemagert und mit einer zehn Zentimeter langen Narbe auf der linken Gesichtshälfte erzählte der 49-jährige Ostschweizer am Donnerstag, wie es ihm seit seiner Rückkehr ergangen ist. Dem Hobby-Ornithologen war im Dezember 2014 die Flucht aus den Fängen seiner Entführer gelungen. Kurz vor Weihnachten kehrte er nach dreijähriger Geiselhaft auf den Philippinen nach Hause zurück.
«Das schönste ist, dass ich wieder mit meiner Familie und meinen Freunden zusammen sein kann und dass ich meine Arbeit als Tierpräparator wieder habe», sagte Lorenzo Vinciguerra an einer Medienorientierung an seinem Arbeitsort im Naturmuseum St.Gallen.
Kinder kaum wiedererkannt
Seine beiden jüngeren Kinder waren fünf und sechs Jahre alt, als der Hobby-Ornithologe am 1. Februar 2012 zusammen mit seinem niederländischen Freund entführt worden war. «Hätte ich meine Kinder nach der Rückkehr auf der Strasse gesehen, ich hätte sie nicht wiedererkannt», erzählte der Familienvater, der auch eine bereits erwachsene Tochter hat.
Anfangs habe es geschmerzt, wenn seine Kinder ihn umarmen wollten. «Ich hatte ein kaputtes Knie, einen Leistenbruch, die Verletzung im Gesicht und mir fehlen immer noch mehrere Zähne.»
Er sei glücklich, jeden Morgen in einem weichen Bett aufzuwachen und wieder einen normalen Alltag zu haben. Bisher habe er keine Albträume gehabt.
Freund blieb zurück
Es schmerze ihn, dass sein Freund zu schwach war, um mit ihm fliehen zu können. Er mache sich grosse Sorgen um den 55-Jährigen, der immer noch in den Fängen der Terroristen sei. «Ich bin sicher, wir hätten die Flucht auch zusammen geschafft. Aber es war die Entscheidung meines Freundes, zu bleiben», sagte Vinciguerra.
Über seine Gefangenschaft und die Flucht dürfe er gemäss einer Weisung des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) nicht sprechen, sagte der Tierpräparator. Darüber sei er froh. Er wolle nach vorne schauen und die schwierige Zeit hinter sich lassen.
Vinciguerra war Anfang Februar 2012 zusammen mit einem befreundeten Hobby-Ornithologen in die abgelegene Provinz Tawi-Tawi gereist, um seltene Nashorn-Vögel zu beobachten, obwohl das EDA seit Jahren vor Reisen in diese Region warnt. Sie seien nicht blauäugig dort hin gereist und hätten einen vom Staat anerkannten Führer dabei gehabt.
Mit Vertretern des EDA habe er bereits gesprochen. Er wisse noch nicht, ob und wie stark er sich an den Kosten beteiligen müsse, die der Schweiz durch seine Geiselnahme und Rettung entstanden seien.Er sei sehr glücklich und dankbar, dass sein Arbeitgeber seine Stelle frei gehalten habe. Vorläufig werde er sich auf seinen Alltag in der Schweiz und beruflich auf die einheimische Fauna konzentrieren. Es wird eine Weile dauern, bis er sich wieder in die Welt ausserhalb Europas wage.