Kundinnen und Kunden sollen sich auf einem Bahnhof wohl und sicher fühlen. Sie sollen gerne Zugfahren und während des Aufenthalts am Bahnhof Geld ausgeben – sich dort das Abendbrot besorgen, Blumen kaufen, den Lotto-Schein ausfüllen.
«Ein Bahnhof ist die Visitenkarte unseres Unternehmens. Er ist aber auch die Visitenkarte einer Stadt. Wenn sich ein Kunde am Bahnhof wohl fühlt, ist es auch eine Entscheidung, den ÖV überhaupt zu nutzen», sagt SBB-Sprecher Christian Ginsig.
Weil das Wohlbefinden auch kommerzielle Auswirkungen hat, liegt der SBB besonders viel an einem freundlichen Auftritt. Doch im Alltag sieht das mancherorts etwas anders aus – etwa am Bahnhof Wil.
Passanten fühlen sich unsicher
Als Stätte des Wohlbefindens beschreiben Passanten den Bahnhof im sankt-gallischen Städtchen nicht. «Vor allem nach 20 Uhr ist es eine Katastrophe. Es ist hier schlimmer als am Bahnhof Zürich», stellt einer von ihnen fest.
Bei den Befragten steht die SBB in schlechtem Licht da. Die Szenen-Bildung rund um den Bahnhof Wil wird als Problem wahrgenommen. «Ich weiss nicht, welche Präventionsmassnahmen es gäbe, damit diese Leute nicht mehr am Bahnhof herumhängen. Wahrscheinlich wäre Polizeipräsenz das einzige, was kurzfristig Abhilfe schaffen könnte», sagt ein anderer Passant.
Mit ihrem negativen Eindruck, sind die Befragten nicht alleine. Das zeigt die Kundenumfragen der SBB. Bei der Gesamtzufriedenheit erzielt der Bahnhof in Wil 76 Punkte von 100 – im Vergleich zu anderen Bahnhöfen ein schlechtes Ergebnis. Nur Winterthur und Biel sind ähnlich unbeliebt.
«Vor allem wenn ich nachts alleine unterwegs bin, mache ich als Frau einen Bogen um den Bahnhof. Dann nehme ich einen längeren Fussweg in Kauf, aber fühle mich dafür sicher», sagt eine Frau im Bahnhof von Wil.
Die schlechten Umfragewerte haben die SBB dazu bewogen, den Ursachen dieses gestörten Sicherheitsempfindens auf den Grund zu gehen. Denn wirklich gefährlich ist es in Wil nicht.
Das Kriminalitätsaufkommen hier ist im Vergleich zu Deutschland – tut mir leid – eher ein Ruhepol.
Die SBB verzeichnete auf ihrem dortigen Areal im Jahr 2016 nur gerade drei Vorfälle, wie Vandalismus, Schlägereien oder Pöbeleien. In Vorjahr waren sogar nur zwei Zwischenfälle registriert worden. Auch in der Kriminalitätsstatistik des Bundes fällt die Kleinstadt Wil nicht auf.
Kaum Vorfälle – trotzdem ein Problem
Und doch hat die SBB in Wil ein Problem. Der Bahnhof sei ungenügend beleuchtet, wildes Urinieren gehöre an die Tagesordnung, Abfall werde achtlos weggeworfen und Drogenhandel präge das Bild, heisst es bei den Bundesbahnen.
Der Besuch in dem Städtchen zeigt: Auch tagsüber halten sich Gruppen von Menschen rund um den Bahnhof auf. Bei der Nische neben der Velostation, bei der Treppe zur Unterführung, bei den Sitzgelegenheiten auf dem Bahnhofsplatz versammeln sie sich ausgestattet mit Bierdosen und anderem. Es riecht nach Marihuana.
Randgruppen fühlen sich hier wohl. «Jeder Mensch muss im Grunde genommen schauen, was er aus seinem Leben macht – ob er jung oder alt ist», sagt einer der Randständigen am Wiler Bahnhof. Zum Problem werden solche Personen für die SBB dann, wenn sie in grösseren Gruppen auftreten und den Weg zu den Perrons versperren, die Passagiere ansprechen oder sie nach Geld fragen.
Schnelle Lösungen greifen zu kurz
Diese Situationen sind Ginsig bekannt: «Was halt immer sehr schnell als mögliche Lösung dargestellt wird, ist beispielsweise Videoüberwachung oder repressive Massnahmen nur mit Personenkontrollen.»
Auf Grund der Studie hätten sie aber festgestellt, dass das ganze Thema breiter gefasst werden müsse. «Teilweise sind auch bauliche Massnahmen notwendig, um Lösungen zu finden.» Das ist die wichtigste Erkenntnis aus der kriminalpräventiven Beurteilung des Bahnhofs Wil.
Simple Massnahmen reichen
Der Ratschlag stammt unter anderem von Christian Weicht, der als Experte für Kriminalprävention vor allem deutsche Städte in Sicherheitsfragen berät. Zur Situation in Wil meint er zunächst: Es seien kleine Sorgen, mit denen sich die Schweizer beschäftigten. «Von dem Kriminalitätsaufkommen her ist das im Vergleich zu Deutschland – tut mir leid – eher ein Ruhepol.»
Mit architektonischen Eingriffen könne es dennoch gelingen, das subjektive Sicherheitsempfinden zu verbessern, räumt Weicht ein. Es sind simple Massnahmen, die er vorschlägt: Dunkle Ecken auf dem Areal nachts beleuchten, die Ladenpassage heller und freundlicher gestalten, eine kostenlose Benützung der Toiletten, um wildes Urinieren zu verhindern.
So fühle man sich im öffentlichen Raum schnell wohler, sagt Weicht und zieht den Vergleich mit Parkhäusern heran. Seien sie hell und modern, fühle man sich auch wohler als in jenen mit dem alten Standard.